Letzte Woche präsentierte die Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) ihr Jahresgutachten zur „Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands“. Einen besonderen Schwerpunkt legt die EFI darin auf „Soziale Innovationen“ und damit auf ein zentrales Thema gesellschaftlicher Entwicklung. Das klingt vielversprechend – doch der Report enttäuscht.

Ein sehr eingeschränkter Blick auf Soziale Innovationen

Der Blick auf soziale Innovationen ist erst einmal erfreulich. Zeugt er doch davon, dass sich auch die EFI als das zentrale innovationspolitische Beratungsgremium der Bundesregierung einem erweiterten Innovationsbegriff öffnet. Und das ist dringend notwendig. Schaut man auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die uns aktuell beschäftigen –  von Flüchtlingsbewegungen bis zu wachsender Ungleichheit, von globaler nachhaltiger Entwicklung bis zum Umgang mit den sozialen und gesellschaftlichen Dynamiken der Digitalisierung – , dann wird schnell deutlich: Viele Innovationsherausforderungen sind heute nicht mehr nur technologischer, sondern immer mehr auch sozialer, institutioneller und gesellschaftlicher Natur.

Mechanismen sozialer Integration, die Re-Organisation unseres Wohlfahrtsstaates, ein sinnvolles Innovationsverständnis zur Zukunft der internationalen Finanzmärkte oder neue globale Wohlstandsmodelle, die es erlauben, die Leitplanken des Erdsystems einzuhalten, stehen oben auf der Agenda.

Zwar konstatiert die EFI einen Mangel an sozialen Innovationen, die aber nur angemessen seien, wenn ein Marktversagen vorliege. Soziale Innovationen sind aber oft eine Reaktion auf Nebenfolgen rein marktlicher Koordination (z.B. grassierende soziale Ungleichheiten: Klimawandel und Übernutzung von Ressourcen). Gerade deswegen ist eine Neubestimmung staatlicher Innovationspolitik nötig; wenn sich Innovation eben nicht mehr nur auf die Unterstützung, sondern auch auf die Einbettung von Märkten ausrichtet –  davon findet sich jedoch nichts im Bericht. Begriffe wie „Nachhaltige Entwicklung“ oder die 2015 verabschiedeten globalen Sustainable Development Goals (SDGs), an denen sich die Gestaltung von Märkten und soziale Innovationen ausrichten sollten, werden in dem Bericht nicht einmal erwähnt. Dabei markieren sie den Rahmen für das globale soziale Innovationsprogramm des 21. Jahrhunderts.

Die aktuelle Debatte darüber, ob und wie Wissenschaft in einer Gesellschaft, die nicht mehr nur durch technologische, sondern auch durch soziale und institutionelle Innovationserfordernisse geprägt ist, aufeinander bezogen werden könnten, bleibt in dem Bericht ausgeblendet. Auch das Positionspapier des Wissenschaftsrates zum „wissenschaftspolitischen Diskurs über Große gesellschaftliche Herausforderungen“ findet keinerlei Berücksichtigung, obwohl dort die Veränderungen des Innovationsverständnisses und die Rolle der Wissenschaft intensiv thematisiert werden.

Eine vergebene Chance

Die EFI vergibt damit eine gewaltige Chance. Gerade sie hätte neue Akzente setzen können für die Entwicklungen, die derzeit in der deutschen Innovationspolitik auf dem Weg sind: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat längst begonnen, seine „High-Tech-Strategie“ nicht mehr nur isoliert technologisch auszurichten, sondern ihr ein breiteres Innovationsverständnis zugrunde zu legen, soziale und ökologische Nachhaltigkeitsziele ernst zu nehmen und neben der Wirtschaft auch weitere Stakeholder in die Programmbildungsprozesse einzubeziehen.

Genau diesen erweiterten Blick lässt die EFI bei den von ihr behandelten „Kernthemen“ im Gutachten vermissen, obwohl er gerade hier fruchtbar gewesen wäre: Wer das Thema Robotik und Digitalisierung auf im wesentlichen ökonomische Innovationsrückstände reduziert, der blendet die positiven wie negativen gesellschaftlichen Nebenfolgen  aus, die die aktuelle Debatte derzeit prägen: Von den Chancen weltweiter und für viele Menschen zugänglicher Kommunikationsinfrastrukturen, über die Sorge vor einem Überwachungsstaat, zur wachsenden Ungleichheit und der Infragestellung unserer bestehenden Sozialstaatsinstitutionen, angesichts zu erwartender gewaltiger Automatisierungs- und Produktivitätssprünge. Längst fordern die Vordenker aus dem MIT oder Vorstandsvorsitzende großer IT-Konzerne wie der Telekom eine neue Debatte über das „bedingungslose Grundeinkommen“, weil sie die neuen Herausforderungen auf die Gesellschaft zukommen sehen.

Im Jahresgutachten der EFI findet sich kein Wort dazu. Aber gerade hier brauchen wir eine neue soziale und institutionelle Innovationskultur. Es ist ernüchternd, dass die führenden Innovationsvordenker weiterhin mit einem solch begrenzten Innovationsverständnis arbeiten. Den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wird Deutschland damit nicht gerecht werden.

Über die Autoren Dirk Messner und Uwe Schneidewind.

DIE Aktuelle Kolumne vom 26.02.2016, PDF von Dirk Messner  und Uwe Schneidewind.