Im September 2015 haben die EU-Staats- und Regierungschefs zusammen mit ihren Kollegen aus aller Welt bei den Vereinten Nationen das transformative Projekt der 2030 Agenda for Sustainable Development beschlossen. Bei der Erarbeitung dieser universellen Agenda mit ihren 17 Sustainable Development Goals (SDGs) hat die EU eine maßgebliche Rolle gespielt. Als Aktionsplan für die Menschen und ihren Planeten, für Wohlstand und Frieden reflektiert die Agenda zentrale europäische Werte und Interessen. Sie zielt gleichermaßen auf die innere Entwicklung der EU wie auf Entwicklung jenseits Europas und der Menschheit insgesamt.
Jetzt geht es um Umsetzung. Auf globaler Ebene beginnt das neue High-Level Political Forum bei den Vereinten Nationen mit der Überprüfung im Juli 2016. Dort stellen dann mit Deutschland, Estland, Finnland und Frankreich gleich vier EU-Mitglieder ihre nationale Umsetzung zur Diskussion. Auch China, der aktuelle G20-Vorsitz ist schon 2016 dabei. Aber was macht die EU?
Die EU-Gipfel seit September 2015 hatten andere Schwerpunkte: Flüchtlingskrise, möglicher Brexit und immer wieder auch die ‚Euro-Krise‘. Soziale Spannungen und wirtschaftliche Disparitäten in der Union nehmen zu. Europaskepsis und Populismus breiten sich aus. Die europäische Umsetzung des Pariser Klimaabkommens bleibt hinter der ambitionierten Rhetorik zurück. Zur Umsetzung der 2030 Agenda war in Brüssel bislang kaum Verbindliches zu hören. Auf Eis gelegt? Institutionelle Selbstblockade? Oder konstruktive Denkpause?
Hinter den Kulissen gibt es durchaus Bewegung: Junckers Sonderberater für Nachhaltige Entwicklung soll bis Mitte 2016 Empfehlungen vorlegen, wie die SDGs in der EU und weltweit mit der EU umgesetzt werden können. In der Kommission läuft eine gap analysis, um europäische Politiken und Wirklichkeiten mit den SDGs abzugleichen. Auffällig ist, dass die zuletzt 2009 fortgeschriebene EU Sustainable Development Strategy praktisch nirgendwo Erwähnung findet. Stattdessen stehen zwei andere Großprojekte im Mittelpunkt: Die Fortschreibung von Europas Wachstumsstrategie (New Approach beyond 2020) und die Erarbeitung einer EU Global Strategy on Foreign and Security Policy. Aber wo findet sich dann die europäische Umsetzung der 2030 Agenda? Macht es Sinn, die 2030 Agenda in einem eigenen Prozess anzugehen, wenn Global Strategy und New Approach längst beschlossen sind?
Nötig wäre zuallererst, dass die EU-Staats- und Regierungschef sowie der Präsidenten von Kommission, Rat und Parlament die 2030 Agenda durch eine gemeinsame Erklärung als zentralen Bezugspunkt für alle inneren und äußeren Politiken etablieren. So könnten sie die Universalität und Integrität der 2030 Agenda mit ihren sozialen, ökonomischen, ökologischen und politischen Dimensionen anerkennen und einen ambitionierten Rahmen setzen, der den Initiativen in den europäischen Institutionen und in den Mitgliedsstaaten Raum und Richtung gibt.
Europäische Politik für nachhaltige Entwicklung kann nach der 2030 Agenda keine Parallel- oder gar Nischenveranstaltung mehr sein. Sie muss ins Zentrum rücken und mit wirksamen Umsetzungs- und Überprüfungsinstrumenten ausgestattet werden. Das transformative Projekt der 2030 Agenda kann nicht in den inhaltlichen und institutionellen Mustern der Vor-2015-Welt umgesetzt werden. Diese sind dafür weder gemacht noch geeignet. Ist es nicht an der Zeit, dass die EU ihren New Approach beyond 2020 mit den regelmäßigen Abstimmungsprozessen ambitioniert und gleichrangig an allen Dimensionen nachhaltiger Entwicklung ausrichtet und die überholte Beschränkung auf Wirtschafts- und Finanzpolitik aufgibt? Und ist es noch zeitgemäß, wenn eine Globale Strategie der EU weiterhin primär aus der Perspektive klassischer Außen- und Sicherheitspolitik formuliert und global nachhaltige Entwicklung als ein Thema der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern auslagert wird?
Die EU hat die neue globale Erzählung nachhaltiger Entwicklung maßgeblich mitgeschrieben. Sie sollte nun die Chance ergreifen, daraus eine neue, positive europäische Erzählung zu machen, in der sich die Bürger Europas wiederfinden und die von Europas Partnern in der Welt als konstruktiv und glaubwürdig verstanden wird. Ohne eine solche überzeugende europäische Erzählung würde auch die globale Erzählung nachhaltiger Entwicklung bald zu einer Angelegenheit für Diplomaten und Bürokraten verblassen. Die 2030 Agenda spricht Schlüsselfragen der inneren Entwicklung Europas an, von Jugendarbeitslosigkeit und sozialen Disparitäten über Wachstum und Infrastruktur bis zu nachhaltiger Landwirtschaft und Biodiversität. Viele globale Ziele der Agenda erfordern substantielle Beiträge in der EU selbst, von der Bekämpfung des Klimawandels über die Förderung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster bis zum Schutz der Meere. Gleichzeitig kann Europa seine eigenen Interessen, Ziele und Werte nicht ohne engagierte und solidarische Antworten auf die Herausforderungen nachhaltiger Entwicklung in seiner Nachbarschaft sowie in den Welt wahren, von Armut über Krisen und Konflikte bis zu Migration und Flucht. So gesehen hat die 2030 Agenda dann doch viel mit den Themen der regelmäßigen EU-Krisengipfel gemeinsam und könnte diesen Orientierung über den Tag hinaus geben.
Über den Autor Adolf Kloke-Lesch
DIE-Aktuelle Kolumne vom 25.05.2016
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