Der heutige Weltflüchtlingstag kommt mit einem neuen traurigen Rekord daher: Ende 2015 waren 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht – so viele wie nie. Aber auch trotz stark gestiegener Flüchtlingszahlen in Deutschland und Europa bleibt die so genannte globale Flüchtlingskrise vor allem eine Krise der armen Länder dieser Welt. Die allermeisten der weltweit Fliehenden kommen nicht nur aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Ein Großteil von ihnen verlässt auch das eigene Herkunftsland oder die Herkunftsregion nicht. Von Pakistan und dem Iran über Jordanien, den Libanon und Äthiopien bis Nigeria oder Kolumbien – die Liste der Länder, die die meisten Flüchtlinge und Binnenvertriebenen beherbergen, liest sich wie ein Querschnitt durch den globalen Süden. Schlägt deshalb nun die „Stunde der Entwicklungspolitik“, wenn es darum geht die Ursachen von Flucht und Vertreibung zu bekämpfen? Welches sind eigentlich die Kernursachen – und was kann und sollte Entwicklungspolitik zu ihrer „Bekämpfung“ tun?

Der Hauptgrund für Flucht und Vertreibung sind zweifellos bewaffnete Konflikte. Daneben sind Terror, Repression, Hunger oder Naturkatastrophen weitere Fluchtursachen. Größere Fluchtbewegungen aber entstehen zumeist erst durch gleichzeitige das Auftreten mehrerer dieser Faktoren.

Die Zahl und Intensität bewaffneter Konflikte hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Die Anzahl der Menschen, die pro Jahr in kriegerischen Auseinandersetzungen rund um den Globus getötet werden, hat sich seit 2010 auf etwa 200.000 Tote vervierfacht. Die Flüchtlingskrise ist daher in erster Linie eine Krise der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik. Zwei Ursachenbündel kommen zusammen: innergesellschaftliche Auseinandersetzungen um Macht, Anerkennung und Chancen zum einen; und eine Außenwelt, die teils aus Desinteresse, teils aus Eigennutz nicht alles unternimmt, um Aggressoren den Zugang zu Waffen und Finanzen zu verwehren, sondern oft das Gegenteil bewirkt. Konflikte und Kriege wie in Syrien, Afghanistan oder dem Südsudan allein mit dem westlichen Lebensstil und seinen Auswirkungen auf Entwicklungsländer, der Geo- oder Nahostpolitik der USA oder internationalen Waffenexporten erklären zu wollen, griffe also zu kurz. Dennoch kann Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle als Stimme im Interesse der betroffenen Zivilbevölkerungen spielen und – auch im Sinne eines aufgeklärten Eigeninteresses – dafür werben, die Vermeidung von gewaltsamen Konflikten zur Richtschnur allen politischen Handelns zu machen.

Darüber hinaus zielt Entwicklungspolitik meist direkt auf die Verminderung innergesellschaftlicher Konflikte ab. Kriege und Bürgerkriege resultieren oftmals aus einer Verzahnung unterschiedlichster Faktoren, die ökonomischer, sozialer, historischer, ethnischer bis hin zu (geo-)politischer Natur sein können. Entwicklungspolitik hat zum Ziel, zur Transformation solcher strukturellen Konfliktlagen beizutragen.

Es wäre aber so verlockend wie falsch, davon auszugehen, dass Entwicklungspolitik schnell und einfach etwas gegen die Ursachen von Flucht und Vertreibung bewirken kann. Entwicklungspolitik wirkt langfristig. Kurzfristig kann – und muss – Leid gemindert und Schlimmeres verhindert werden. So muss es etwa darum gehen, Flüchtlingen in den Hauptaufnahmeländern eine bessere Zukunftsperspektive zu geben. Dabei gilt es, lokale Verwaltungen einzubinden, aufnehmende Kommunen und Länder zu unterstützen – nicht zuletzt auch um Konflikte zwischen Flüchtlingen und Alteingesessenen zu verhindern – und Menschen in Lagern nicht nur zu „verwalten“, sondern sie aktiv teilhaben zu lassen. Dabei muss gar nicht der Gedanke im Vordergrund stehen, dass Menschen ohne Aussicht auf ein festes Gehalt, bessere medizinische Versorgung oder eine bessere schulische Bildung für ihre Kinder nach Europa „weiterfliehen“ könnten. Die meisten Flüchtlinge verfügen dafür ohnehin nicht über die notwenigen (finanziellen) Mittel.

Langfristig muss die internationale Entwicklungszusammenarbeit vor allem zukünftigen Konflikt- bzw. Fluchtursachen entgegenwirken. Hierzu muss neben dem Kampf gegen Armut, Hunger und Umweltzerstörung auch die Schaffung funktionierender politischer Strukturen – die keine Bevölkerungsgruppen von der Möglichkeit der Teilhabe ausschließen und dem friedlichen Zusammenleben der Menschen verpflichtet sind – stärker in den Vordergrund gestellt werden. Krisenprävention und Friedensförderung sollten als entwicklungspolitische Schwerpunktthemen gestärkt werden. Auch die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit muss wieder eine größere Rolle spielen.

Im weltweiten Maßstab scheint die Demokratie als Herrschaftsform seit Jahren auf dem Rückzug zu sein, während Bürgerkriege und Gewalt zunehmen. Das zeigt: Wenn es an demokratischer Teilhabe mangelt, können Staaten schnell instabil werden und Konflikte leicht eskalieren. Allzu lange haben westliche Geberländer autoritäre Regime im Nahen Osten und Afrika unterstützt, um sich so kurzfristige politische Stabilität zu erkaufen. Zukünftig muss es darum gehen, die Wohlfahrt und Teilhabe der Bürger in diesen Ländern zu verbessern. Das heißt, dass Geberländer in diesen Staaten viel stärker mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten müssen. Das alles ist langwierig, zäh und gewährt leider keinerlei direkte Erfolgsgarantien. Dennoch ist es unabdingbar, um auf Dauer Krisen, Kriegen und Massenflucht entgegenzuwirken.

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Über die Autoren Benjamin Schraven und Jörn Grävingholt