Die Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft (JRF) lud am 17. Juni in Düsseldorf zur Veranstaltung „Flucht, Migration, Integration – Herausforderung und Chancen aus Sicht der Forschung“ ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen Impulsvorträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der JRF-Mitgliedsinstitute DIE (Deutsches Institut für Entwicklungspolitik), BICC (Internationales Konversionszentrum Bonn), ZfTI (Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung) und ILS (Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung) sowie eine offene Podiumsdiskussion mit Vertretern von Kommunen, der UNO-Flüchtlingshilfe und von einer Migrantenorganisation. Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW, hat den Abend mit einem Grußwort eröffnet.

Impressionen von der Veranstaltung

Inhaltliche Zusammenfassung

Am 20. Juni war Weltflüchtlingstag. Derzeit sind über 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, davon sind laut jährlichem Bericht des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) 40,8 Millionen Binnenvertriebene. Zudem finden 90 Prozent aller Flüchtenden nicht in Europa, sondern in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen Aufnahme. Im Weltmaßstab ist die Flüchtlingskrise daher vor allem eine Krise, die sich im Globalen Süden abspielt, stellte Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) auf der Veranstaltung der Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft (JRF) am vergangenen Freitag fest.

So hat der Libanon mit 183 Flüchtlingen je 1.000 Einwohner im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr Menschen aufgenommen als jedes andere Land. In Jordanien kommen auf 6,5 Millionen Einwohner/-innen mittlerweile mehr als eine Million syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge und in absoluten Zahlen leben in der Türkei mit 2,5 Millionen derzeit die meisten Geflüchteten. Auch Bernhard von Grünberg, stellvertretender Vorsitzender der UNO Flüchtlingshilfe e. V. in Bonn und Mitglied des Landtags bestätigte, „nicht wir sind das Zentrum der Flucht.“ Seine Organisation unterstützte deshalb mit den im vergangenen Jahr gesammelten 19,5 Millionen Spendengeldern vor allem Projekte des chronisch-unterfinanzierten UNHCR, um so auf die Not in den Flüchtlingslagern in besonders betroffenen Regionen zu reagieren.

Zu den Hauptfluchtursachen zählen Kriege und gewaltsam ausgetragene Konflikte sowie staatliche Repression, Menschenrechtsverletzungen oder politische, ethnische, religiöse oder sonstige Verfolgung. Aber auch Naturkatastrophen, die Auswirkungen des Klimawandels, Armut, Hunger, Massenepidemien und dauerhafte Perspektivlosigkeit zwingen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen. Meist kommt es zur Flucht, wenn mehrere dieser Ursachen zusammenkommen. Ob die Fluchtgründe wissenschaftlich bisher ausreichend untersucht sind, wurde kontrovers diskutiert, einig war man sich hingegen, dass mehr getan werden sollte, um Fluchtursachen, anstelle von Flüchtlingsströmen zu bekämpfen. Denn Flucht unterscheidet sich von freiwilliger (Arbeits-)Migration. Hier sei es wichtig an die humanitäre Dimension und menschliche Verpflichtung Flüchtenden und Verfolgten Asyl und Schutz zu gewähren, zu erinnern, forderte Conrad Schetter vom BICC, dem Internationalen Konversionszentrum in Bonn. Dieses Menschenrecht müsse unabhängig von den Debatten um die Chancen und Nützlichkeit von Zuwanderung stark gemacht und verteidigt werden. Er wünschte sich mehr Empathie für die Geflüchteten und eine Forschung, die nicht nur über globale Fluchtbewegungen forscht, sondern sich auch den Flüchtlingen, ihren Biografien und kulturellen Kontexten zuwendet.

Zugleich zeigten die Vorträge und Diskussionsbeiträge der Podien, dass auch beim Thema Integration ein Perspektivwechsel nötig sei und bisher zu wenig aus den Fehlern und Erfahrungen der Vergangenheit gelernt worden sei. In ihrem Grußwort merkte NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze kritisch an, dass es für die erste Generation der Gastarbeiter/-innen keine Integrationsangebote gegeben habe, weil davon ausgegangen wurde, dass sie in ihre Heimatländer zurückkehren würden. In der Podiumsdiskussion griff Andreas Hollstein, Bürgermeister der Stadt Altena, die Kritik auf und führte aus, dass diese Fehler auch bei den nachfolgenden Generationen, den Spätaussiedler/-innen und den Flüchtlingsströmen aus dem ehemaligen Jugoslawien wiederholt worden seien und sich verpasste Chancen auch im Umgang mit den aktuell Geflüchteten wieder abzeichnen. So werden traumatisierte Menschen in Großunterkünften konzentriert und oft isoliert vom Rest der Gesellschaft untergebracht. Zugleich werden Menschen durch die Dauer der bürokratischen Verfahren oft jahrelang in eine passive Warteposition gezwungen, ohne arbeiten zu dürfen oder einen gesicherten Rechtsstatus zu haben.

Mit Teilhabe hat das wenig zu tun, Teilhabe aber ist Voraussetzung und Schlüssel für Integration. Dabei werden Migrantenorganisationen bisher viel zu wenig beteiligt und ihr Potential für Integration gesellschaftlich zu wenig genutzt, wie Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) und Turgay Tahtabas, der Gründer vom Zukunft Bildungswerk in Essen aufzeigten. Dirk Halm wies in diesem Zusammenhang außerdem auf die große Bedeutung von Rechtsgleichheit für Integration und Teilhabe hin. Zugleich darf Integration nicht als Einbahnstraße verstanden werden, sondern als wechselseitiger Dialog, der auch die Aufnahmegesellschaft verändert.

Da Integration letztlich vor Ort, im Quartier, stattfindet, unterstrich Ralf Zimmer-Hegmann vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) die aktuellen und künftigen Herausforderungen für Kommunen, betonte aber auch die Bedeutung und Chancen von Zuwanderung für eine alternde und schrumpfende Gesellschaft. Er wies daraufhin, dass die Lasten der Integration gerade in den städtischen Ballungsräumen überproportional von benachteiligten Quartieren und ihren Bewohner/-innen getragen werden. Es sind insbesondere diese Quartiere, die besondere Aufmerksamkeit und gezielte Unterstützung benötigen, damit die Konzentration sozialer und ethnischer Benachteiligungen nicht in Stigmatisierung. Segregation und Ausgrenzung mündet. Gerade vor diesem Hintergrund wirbt Andreas Hollstein für das ungenutzte Integrationspotential in kleineren Städten und dezentrale Unterbringungskonzepte. In Altena werden die Geflüchteten beispielsweise nicht in Flüchtlingsheimen, sondern in einzelnen Wohneinheiten untergebracht. Aufgrund des hohen ehrenamtlichen Engagements gibt es für jede dieser Wohneinheiten zudem eine lokale Ansprechperson, die sich kümmert. Zugleich werden in Altena täglich Sprachkurse angeboten. Seit diese mit Kinderbetreuungsangeboten gekoppelt werden, nehmen auch die geflüchteten Frauen teil.

Deutlich wurde, dass Integration keineswegs automatisch stattfindet und per se konfliktfrei oder ohne Anstrengungen und Investitionen zu haben ist. Gefordert sind die Bereitschaft zu wechselseitigem Dialog und das Engagement aller, der Geflüchteten, aber genauso auch der Aufnahmegesellschaften. Auch hier lohnt ein Perspektivwechsel oder Blick über den Tellerrand: So gilt die Flüchtlingspolitik Ugandas, eines der ärmsten Länder auf dem afrikanischen Kontinent, international als vorbildlich. Uganda hat in den vergangenen Jahren mehr als 600 000 Flüchtlinge − hauptsächlich aus der Demokratischen Republik Kongo, dem Südsudan und Somalia – aufgenommen.

Der Einladungsflyer zum Nachlesen des Programms:

Flyer Flucht, Migration, Integration