Plädoyer für einen kontextbezogenen und differenzierten Umgang mit dem stadtpolitischen Ideal
‚Soziale Mischung in Quartieren‘ meint das Zusammenleben von unterschiedlichen sozialen Gruppen in einem nahräumlichen, alltagsrelevanten Kontext. Basierend auf der Annahme, dass die räumliche Nähe zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen auch ihre soziale Interaktion fördert, besteht die Erwartung und Hoffnung, durch soziale Mischung nachteiligen Wirkungen der Segregation entgegenzuwirken und somit zum sozialen Zusammenhalt in städtischen Quartieren beizutragen.
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen und nord-amerikanischen Ländern wird soziale Mischung als wichtiges stadtpolitisches Instrument betrachtet, um zu einem räumlich und sozial engeren Miteinander von Personen unterschiedlicher sozialer Lagen beizutragen. Die Bemühungen von Politik und Planung konzentrieren sich aber zumeist nicht auf Gebiete, die durch die Segregation ressourcenstarker Haushalte gekennzeichnet sind, sondern vielmehr auf die von Benachteiligung geprägten Quartiere. In jenen Gebieten ist allerdings der Grat zwischen der Aufwertung des Quartiers und der Verdrängung ressourcenschwächerer Bevölkerungsgruppen schmal. Darüber hinaus gibt es aus wissenschaftlicher Sicht – auch im internationalen Kontext − wenige Belege dafür, dass räumliche Nähe auch soziale Nähe und damit funktionierende Nachbarschaften erzeugt.
Der Versuch ‚Soziale Mischung‘ für Anwendungszwecke näher zu charakterisieren, stellt für Wissenschaft und Politik eine Herausforderung dar: Auf welche Kategorien bezieht sich das Wort ‚Mischung‘? Auf sozio-ökonomische, sozio-demographische, ethnische oder kulturelle Unterschiede? Für welche Raumausschnitte ist soziale Mischung zu diskutieren? Wie kleinteilig wird soziale Mischung verstanden bzw. wo setzt diese an: Auf der Ebene einzelner Wohnhäuser, auf Quartiers- oder auf gesamtstädtischer Ebene? Und nicht zuletzt betrifft die Herausforderung dieses Konzepts auch die politisch-normative Ebene: Wer empfindet welche Mischung als ‚optimal‘, wer legt Mischungskonzepte in einem städtischen Kontext fest und mit welchen Zielen? Und wer hat die Einflussmöglichkeiten, Mischungskonzepte umzusetzen und zu moderieren?
Das sind nur einige der Fragen, die am 2. November 2016 im Rahmen der Veranstaltungsreihe Stadtentwicklungsforschung: konkret „Sozialer Zusammenhalt in der Stadt: Orte der Begegnung in gemischten Quartieren“ in vier Vorträgen beleuchtet und mit dem Podium sowie einem sehr interessierten Publikum intensiv diskutiert wurden. Die Forschungsergebnisse eines laufenden ILS-Projektes verweisen dabei auf die Wirkung lokaler Institutionen und hier insbesondere der Bildungseinrichtungen mit Blick auf die Förderung (oder aber Erschwerung) gruppenübergreifender sozialer Kontakte. Darüber hinaus zeigen die ILS-Erhebungen sowie Forschungen des Instituts für Stadt- und Regionalforschung aus Wien, dass auch flüchtige Begegnungen auf Spielplätzen, im Park, beim Einkauf, im Café oder auf dem Wochenmarkt etc. aktiv zu einem lokalen Identitätsgefühl sowie zu mehr Miteinander beitragen können.
Wie komplex und vielschichtig das Ziel sozialer Mischung ist, wird ferner deutlich, wenn es um die Aufnahme von Geflüchteten und ihre gesellschaftliche Teilhabe und Integration geht. Die entstehenden ethnisch-kulturellen Netzwerke, Infrastrukturen und Akteursnetzwerke in innerstädtischen Ankunftsquartieren stellen für neu Ankommende wichtige erste Auffang-, Bezugs- und Unterstützungspunkte dar. Gleichzeitig können sich Probleme und Konflikte vor allem zwischen ressourcenschwachen Gruppen in diesen Quartieren jedoch verstärken. Deshalb darf der gesamtstädtische Lasten-ausgleich nicht aus dem Blick geraten: Dieser beinhaltet zum einen die Anerkennung der Funktion dieser Quartiere und ihrer gezielten Unterstützungsleistungen, aber gleichzeitig auch ein Mehr an sozialer Mischung und die Aufnahme von Geflüchteten in gut situierten Wohngegenden.
Um eine sozial gerechte Boden- und Baulandpolitik, den quantitativen und qualitativen Ausbaus des sozialen Wohnungsbaus, neue Belegungspolitiken und Mietpreis-bindungen sowie Erhaltungs- und Milieuschutzsatzungen durchzusetzen und somit die Chance auf bezahlbares Wohnen in unterschiedlichen städtischen Lagen auch für ressourcenschwache Haushalte zu sichern, muss Stadtentwicklung die Instrumente der Städtebauförderung und der Wohnungsbestandspolitik aktiv und kombiniert einsetzen. Das vorgestellte Beispiel der Hafencity Hamburg konnte zeigen, wie in neu entstehenden städtischen Quartieren durch gezielte Belegungspraxis die soziale Mischung des Gebiets gesichert und deren langfristiger Erfolg mit Hilfe eines durch die Gewerbetreibenden finanzierten Quartiersmanagement gefördert werden kann.
Um darüber hinaus soziale Nähe und lokalen Zusammenhalt zu stärken, sind jedoch weitere Maßnahmen nötig. Das kann beispielsweise durch die Förderung von Räumen der Begegnung sowie durch die professionelle Begleitung in Form eines Quartiersmanagements erleichtert werden. Wie durch das Beispiel des Samtweberviertels in Krefeld deutlich wurde, spielt die aktive Beteiligung der Bewohnerinnern und Bewohner sowie der lokalen Gewerbetreibenden am Planungsprozess und an der weiteren Umsetzung eine zentrale Rolle für das Gelingen guter Nachbarschaft.
Die abschließenden Plädoyers der Vortragenden aus Wissenschaft und Praxis lassen sich zu den folgenden Punkten zusammenfassen:
- für eine kontextbezogene, nach räumlichen Kontexten und sozialen Kategorien differenzierte Betrachtung sozialer Mischung
- für ein Verständnis von sozialer Mischung als Prozess und nicht als starre Quote oder universale Zielvorgabe zur genauen Betrachtung von Segregationstendenzen in Quartieren und lokalen Institutionen
- für die nachhaltige Sicherung von Moderations- und Partizipationsstrukturen in heterogenen Quartieren
- für einen als gesamtstädtischen Lastenausgleich mit Blick auf Quartiere, die in stärkerem Maße durch die Konzentration von Armut und hohe Fluktuation herausgefordert sind.
Die Pressemittelteilung vom 23.11.2016 können Sie hier lesen (PDF).
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Stadtentwicklungsforschung: konkret ist eine öffentliche Veranstaltungsreihe, die seit 2013 zweimal jährlich stattfindet und anwendungsorientierte Forschungsergebnisse zur Diskussion stellt, um den Dialog zwischen stadtentwicklungspolitischer Praxis und Politik in den Kommunen, Landeseinrichtungen und Verbänden in Nordrhein-Westfalen sowie der Wissenschaft aktiv zu fördern.