Am 15. November 2016 lud das Steinheim-Institut anlässlich seines 30. Jubiläums KollegInnen, FreundInnen und an jüdischer Kultur Interessierte im Rahmen der Veranstaltungsreihe „JRF vor Ort“ nach Essen ein. Mehr als 70 Personen folgten der Einladung in das ehemalige Rabbinerhaus, in dem das Institut heute auf drei Etagen seinen Sitz hat.

Zunächst nutzten viele Besucher und Besucherinnen die Gelegenheit, mit den InstitutsmitarbeiterInnen „vor Ort“ ins Gespräch zu kommen. Sie stöberten in Büchern und ließen sich über Projekte wie die epigraphische Datenbank epidat, das Virtuelle Museum für Leopold Fleischhacker und die app „Orte jüdischer Geschichte“ informieren.

Aufgrund des so erfreulich großen Interesses fand die Veranstaltung „Sikaron | Memoria | Erinnerung“ im Veranstaltungsraum (der ehemaligen Werktagssynagoge) der benachbarten Alten Synagoge-Haus jüdischer Kultur statt, der uns freundlicherweise von Dr. Uri Robert Kaufmann und seinem Team zur Verfügung gestellt worden war. Professor Dr. Michael Brocke, einst einer der Mitgründer und seit 1996 Direktor des Steinheim-Instituts, erinnerte in seiner Begrüßung an die Entstehungsgeschichte. Maßgeblich von Julius H. Schoeps angeregt, wurde das Steinheim-Institut als An-Institut der Universität-GH Duisburg gegründet – zur Förderung der Erforschung und Vermittlung der deutsch-jüdischen Geschichte.

Heute ist das Steinheim-Institut als An-Institut der Universität Duisburg-Essen eng verbunden. Seit der Gründung im Jahr 2014 ist es zudem Mitglied der Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft (JRF), eines Zusammenschlusses von (zur Zeit) 15 außeruniversitären Forschungseinrichtungen in NRW. Prof. Dr. Thomas Spitzley, Prorektor der Universität Duisburg-Essen für Entwicklungs- und Resourcenplanung, und Prof. Dr. Dieter Bathen (UDE/IUTA), Vorstandsvorsitzender der JRF, würdigten in ihren Grußworten die Bedeutung des Steinheim-Instituts für die hiesige Wissenschaftslandschaft und sein Wirken in die Gesellschaft.

So sagte Dieter Bathen: „Institute wie das Steinheim-Institut erforschen die Vergangenheit und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Verstehen unserer Gegenwart. (…) Lieber Herr Professor Brocke, Sie untersuchen mit Ihrem Team unabhängig und nach höchsten wissenschaftlichen Standards die Geschichte und Kultur der Juden im deutschen Sprachraum bis in die Gegenwart. Das ist Ihnen und dem Institut trotz knapper Ressourcen in den vergangenen 30 Jahren vorbildlich gelungen. Mit Ihrem wissenschaftlichen Auftrag haben Sie auch öffentlich Verantwortung übernommen; Sie stehen in der Mitte der demokratischen Gesellschaft – das lässt sich gar nicht hoch genug einschätzen.“

Der erste Bürgermeister Rudolf Jelinek überbrachte die Glückwünsche der Stadt Essen, wo das Institut seit 2011 – nach 25 Jahren in Duisburg – seinen Sitz in dem historischen Rabbinerhaus hat.

Dem Thema Erinnerung (hebr. Sikaron, latein. Memoria) – einer zentralen Kategorie im jüdischen Denken – ist die Arbeit des Steinheim-Instituts seit jeher verpflichtet. Daher schien es angemessen, drei profilierten Expertinnen aus verschiedenen Bereichen der jüdischen Studien zu bitten, Einblicke in aktuelle Forschungen aus diesem Themenbereich zu geben.

Katrin Kogman-Appel, Alexander von Humboldt Professorin für Jüdische Studien an der Universität Münster, analysierte eine illuminierte Seite des in Worms entstandenen Leipziger Machsors (eines Festtagsgebetbuchs, entstanden um 1310). Die Kombination von Bild und Text, die ungewöhnliche Motivauswahl werfen ein faszinierendes Licht auf das Verständnis des Märtyrertums durch aschkenasische Juden in einer Zeit, die durch blutige antijüdische Verfolgungen gekennzeichnet war.

Vom Mittelalter in die unmittelbare Gegenwart zurück führte der Vortrag von Sarah Ross, Professorin für Jüdische Musikstudien und Direktorin des Europäischen Zentrums für Jüdische Musik an an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Sie berichtete über die Musik der romaniotischen Juden in Griechenland, die lange Zeit nur mündlich überliefert wurde. Im Holocaust wurde die große Mehrheit der griechischen Juden durch die deutschen Besatzer in Vernichtungslager deportiert und ermordet. Erst heute, in einer Zeit, in der kaum mehr Träger der Überlieferung leben, gibt es Bemühungen, diese Musiktraditionen zu dokumentieren und als Medium der Erinnerung fortzuentwickeln.

Ebenfalls als Teil der Nachgeschichte des Holocaust entstand 1966 – vor genau 50 Jahren – das Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGDJ) in Hamburg, der ersten Forschungseinrichtung in der Bundesrepublik, die sich ausschließlich der deutsch-jüdischen Geschichte widmete. Miriam Rürup, Direktorin des IGDJ, beleuchtete unter dem Titel „Wessen Erbe? Deutsch-jüdische Geschichtsschreibung nach 1945“ die Gründungsgeschichte des Instituts, der ein Konflikt über das Archiv – und damit das Gedächtnis – der Hamburger jüdischen Gemeinde vorausgegangen war: Sollte dieses in Hamburg bleiben oder nach Jerusalem überführt werden?

Erinnern und Gedenken sind im Judentum nie eindimensional zu denken. „Transformatieren, Umformatieren – und das manchmal fast bis zur Unkenntlichkeit – ist entscheidend für das jüdische Leben, das Leben des Judentums, für sich nicht weniger als für sein Inmitten-in-der-Welt-Sein für seine Lebendigkeit und das Mehr-als-Überleben. All jene Verwandlungen der ältesten und alten Worte des Judentums fordern dazu auf, die geschichtlichen Prozesse, ihre Adern und Schichten zu erforschen, sie freizulegen und sie, wiederum anders eingekleidet, zu vermitteln. Gegen die Hilflosigkeit, für eine lebbare Welt.“ Mit diesen Worten charakterisierte Michael Brocke die Aufgabe, der sich das Steinheim-Institut – und mit ihm viele andere ForscherInnen und Institutionen – gestellt hat und auch weiterhin stellen wird.

Wie es sich bei einem Geburtstagsfest gehört, wurde der Abend mit einem Empfang im Vortragsraum des Steinheim-Instituts – mit Wein, Wasser, leckeren Häppchen und guten Gesprächen – abgeschlossen.