Bislang stammen nur rund 14 Prozent der eingesetzten Rohstoffe in der deutschen Industrie aus dem Recycling. Aber wie lässt sich dieser Anteil steigern und Abfall sicherer und umweltschonender entsorgen? Eine Studie des Bundesumweltministeriums geht davon aus, dass die Kreislaufwirtschaft von der Digitalisierung besonders profitieren würde – gleichzeitig zeigt sie, dass das Thema bisher aber kaum systematisch angegangen wird. Dr. Henning Wilts, Leiter des Geschäftsfeldes Kreislaufwirtschaft und Dr. Holger Berg, Projektleiter im Geschäftsfeld Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie gGmbH widmen sich daher dieser Thematik und arbeiten an einer „Circular Economy Literacy“, die den Weg in die digitale und ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft ebnen soll. Im neu erschienen Positionspapier „in brief“ des Wuppertal Instituts gehen die beiden Autoren ausführlich auf das Thema ein.
Wuppertal, 22. August 2017: Deutschland verfügt über eines der weltweit führenden Systeme im Bereich der Abfallwirtschaft. Ziel ist dabei in erster Linie, Abfall sicher und umweltschonend zu entsorgen – allerdings kommen die Rohstoffe für die Industrie noch immer zu mehr als 85 Prozent aus Primärmaterialien. Obwohl das Optimierungspotenzial groß ist, ist die Realität noch weit von sogenannten geschlossenen Kreisläufen entfernt. Aus Abfällen gewonnene Sekundärrohstoffe – Rezyklate genannt – werden bislang weit unterhalb der möglichen Mengen in Produktions- und Nutzungsprozesse zurückgeführt. Das bedeutet Werteverlust, macht abhängig von volatilen Rohstoffmärkten, verringert die Ressourcenproduktivität und erhöht die Umweltverschmutzung. Die Studie „Die Digitalisierung in der GreenTech-Branche“ im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) verweist darauf, dass kein Umweltleitmarkt so stark von der Digitalisierung profitieren könnte wie die Kreislaufwirtschaft und gleichzeitig kein Sektor bisher so schlecht aufgestellt sei.
Unternehmen setzen noch zu häufig auf Primärmaterialien statt auf recycelte Rohstoffe zurückzugreifen – obwohl diese eigentlich günstiger sein könnten. Ein entscheidender Grund sind fehlende Informationen: Wo und wann Abfälle anfallen, die sich als Rezyklate einsetzen lassen, ist deutlich ungewisser als bei Primärmaterialien, wie etwa im Bergbau. Zudem hängt der Wert von Abfällen maßgeblich davon ab, wie diese Abfälle zusammengesetzt sind und was über sie bekannt ist: Was sind teuer zu entsorgende gefährliche Abfälle, was kann sinnvoll recycelt werden? Daher betont Dr. Henning Wilts, Leiter des Geschäftsfeldes Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut: „Um den Übergang zur Kreislaufwirtschaft besser zu koordinieren, braucht es zwingend eine bessere Abstimmung von Stoff- und Informationsflüssen, um diesen Problemen zu begegnen.“
„Informationen über Mengen und insbesondere Qualitäten von Produkten und den in ihnen enthaltenen Rohstoffen müssen erhoben werden und erhalten bleiben“, ergänzt Dr. Holger Berg. Beispielsweise wären die Anreize für ein stoffliches Recycling von Kunststoffabfällen deutlich höher, wenn die genaue stoffliche Zusammensetzung inklusive aller Zuschlagstoffe für alle enthaltenen Produkte im Abfall bekannt bzw. diese Information zu vertretbaren Kosten zu erhalten wäre.
Viele dieser Informationsdefizite waren bisher nicht zu lösen. Die Forscher Wilts und Berg gehen aber davon aus, dass die Digitale Transformation die Lösung liefern könnte, weil sie aus mehreren Gründen eine Informationsrevolution ist und daher das Bindeglied zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft werden kann.
Digitale Transformation ebnet den Weg für die Kreislaufwirtschaft
Lösungsansätze müssen über reine Entsorgungslösungen hinausgehen, viel früher im Produktionsprozess ansetzen und auch stärker als bisher Konsumentscheidungen einbeziehen. Oberstes Ziel: Abfälle weitgehend vermeiden und eine ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Dazu arbeitet das Wuppertal Institut an einer Circular Economy Literacy. Darin evaluieren Dr. Henning Wilts und Dr. Holger Berg im neu gegründeten Geschäftsfeld Kreislaufwirtschaft wie solche umfassenden Veränderungsprozesse möglich und in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Ihre Projekte sollen die verschiedenen Akteure zusammenbringen und eine strategische Zielvorstellung für eine digitalisierte Kreislaufwirtschaft in NRW, Deutschland und Europa vorgeben. Alle wollen Digitalisierung, alle wollen Kreislaufwirtschaft – aber was ist die gemeinsame Vision und wie kommen wir dahin? Vier Punkte werden dabei von besonderer Bedeutung sein:
• Brücken bauen: Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft zusammenbringen
• Lücken schließen: Unterstützung speziell für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
• Orientierung bieten: Wo macht die digitale Kreislaufwirtschaft Fortschritte?
• Big Picture: Wo macht die digitale Kreislaufwirtschaft tatsächlich Sinn?
Wilts ergänzt: „Um eine ressourcenschonende und digitale Kreislaufwirtschaft zu realisieren, müssen Industrie, Abfallwirtschaft und Unternehmen vernetzt werden, um ein funktionierendes Wertschöpfungsnetz aufzubauen.“