2019 wird kein leichtes Jahr für internationale Zusammenarbeit, für den Schutz menschlichen Wohlergehens und nachhaltige Entwicklung. Vielerorts behindern dies die inneren politischen Verhältnisse. Gesellschaften spalten sich in unterschiedliche ideologische Lager und sind immer weniger in der Lage, sich auf gemeinsame Problembeschreibungen und prioritäre Herausforderungen zu einigen, erst recht nicht auf Lösungsansätze. Oft geht dies einher mit Ausgrenzung und Rechtlosigkeit von gesellschaftlichen Gruppen und einzelnen Menschen, mit dem Verlust von Mitgefühl und einer Abwehrhaltung gegenüber internationaler Verantwortung. Gewaltsam ausgetragene innergesellschaftliche Konflikte und anhaltende oder eingefrorene Kriege stehen für die Unfähigkeit, sich zukunftsorientiert auf gemeinsame Interessen und Frieden begründende Kompromisse zu verständigen. Diese Phänomene finden sich auf allen Kontinenten, auch in Europa und Deutschland. Viele sind dadurch zutiefst beunruhigt und verunsichert. Bisherige gesellschaftliche Vereinbarungen scheinen an Gewicht zu verlieren: wie ein friedliches und gedeihliches Miteinander gestaltet und gelebt werden kann, was eine freie und prosperierende Gesellschaft ausmacht und welche Bedeutung konstruktive internationale Beziehungen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft haben.

Diese Verunsicherung in unserer eigenen Gesellschaft, in der Europäischen Union (EU) und in den internationalen Beziehungen erschwert entschiedenes Handeln. Doch in unserer gegenwärtigen Welt ist die Verbesserung nationalen Wohlergehens ohne eine globale Perspektive nicht mehr vorstellbar. Interdependenzen und Wechselwirkungen prägen das 21. Jahrhundert mehr denn je: zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern; zwischen steigenden Wohlfahrtsniveaus und Umweltbelastungen, die die Stabilität des Erdsystems gefährden; zwischen sozialer, ökonomischer und politischer Teilhabe in nationalen Gesellschaften einerseits und internationaler Stabilität, Sicherheit und Zusammenarbeit andererseits.

Politik für nachhaltige Entwicklung muss all dies berücksichtigen und ist auf internationale Kooperation angewiesen. Mit der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und ihren 17 Nachhaltigkeitszielen haben wir dafür seit 2015 einen international vereinbarten Handlungsrahmen. Es geht um mehr als die bloße Summe von nationalen Interessenkonstellationen und Gemeinwohlvorstellungen in Europa oder weltweit. Die Agenda gibt globale Orientierung, um angemessene Antworten auf die gegenwärtigen Herausforderungen zu geben, von der Verringerung von Armut und Ungleichheiten, über den Schutz von Biodiversität und Klima bis hin zur Beendigung von Kriegen, von Flucht und Vertreibung. Die Klimakonferenz in Katowice hat wichtige Fortschritte für die Umsetzung des Pariser Klima-Übereinkommens erreicht. Sie hat gezeigt, dass die internationale Klima-Kooperation lebt, gemeinsam getragen von Regierungen, Städten, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.

2019 werden diese Herausforderungen prominent auf der politischen Agenda der EU und der Vereinten Nationen stehen. Im Vorfeld der Wahlen für das Europäische Parlament werden sich die politischen Parteien und ihre Wählerinnen und Wähler nicht nur darüber verständigen müssen, wie Wohlstand und Wachstum mit sozialer Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Zusammenhalt zusammengedacht werden, sondern auch darüber, wieviel globale Verantwortung zu einem lebenswerten Europa heute gehört und wie diese ausbuchstabiert werden muss. Der Einfluss des Parlaments wurde 2009 mit dem Vertrag von Lissabon gestärkt und ein zukunftsstarkes Europa braucht eine breite Wahlbeteiligung, die seinen lebendigen demokratischen Kern abbildet.

Die Vereinten Nationen veranstalten im September 2019 zwei Gipfeltreffen zum Klimaschutz und zur Überprüfung der Umsetzung der Agenda 2030. Hier sind die Staats- und Regierungschefs gefordert. Diese Gipfel und ihre Themen müssen zusammen gedacht und aufeinander bezogen werden, um keine falschen Konkurrenzen aufkommen zu lassen und schnelleres Handeln zu ermöglichen.

Der jüngste Sonderbericht des Weltklimarates zeigt, dass eine ambitionierte Umsetzung der 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung die Anpassungs- und Minderungslasten für den Klimaschutz verringern kann. Soziale Gerechtigkeit ist ein Kernanliegen der Agenda 2030 und befördert die Umsetzung klimapolitischer Transformationspfade. Auch in einer Welt mit 1,5°C Klimaerwärmung steigen die Risiken, aber es besteht eine größere Chance, in vielen Bereichen nachhaltiger Entwicklung voran zu kommen. Der letzte New Climate Economy Report unterstreicht daher die positiven Wechselwirkungen zwischen schneller technologischer Innovation, Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen und erhöhter Ressourcenproduktivität liegen. Der Bericht „Better business – better world“ zeigt, dass mit Investitionen in die Nachhaltigkeitsziele 380 Millionen neue Jobs bis 2030 geschaffen werden könnten, ein Großteil davon in Afrika.

2019 wird ein gutes Jahr, wenn wir es nutzen, um der Verunsicherung in und zwischen unseren Gesellschaften zu begegnen. Die Europawahlen im Mai und die Gipfel der Vereinten Nationen im September bieten dafür in besonderer Weise Gelegenheit.

Über die Autorin Dr. Imme Scholz