Der Einsatz vieler italienischer Bürgermeister für die Aufnahme Geflüchteter und gegen die kompromisslose Politik von Innenminister Salvini hat in den letzten Wochen viel öffentliches Aufsehen erregt. In Zeiten historischer Höchststände von Flüchtlingen steht der Vorgang sinnbildlich für die wachsende Bedeutung von Städten für Schutz und gesellschaftliche Teilhabe weltweit Vertriebener. Der am 17. Dezember 2018 von der UN Generalversammlung in New York angenommene Globale Flüchtlingspakt zeigt jedoch, dass diese Bedeutung auf internationaler Ebene noch nicht hinreichend wahrgenommen wird. Für die Umsetzung einer nachhaltigen Flüchtlingspolitik müssen daher die Potenziale von Städten und Kommunen auf globaler, nationaler und lokaler Ebene stärker wahrgenommen und unterstützt werden.

Flucht und Vertreibung haben in den letzten Jahren weltweit zugenommen. 85 Prozent der Flüchtlinge befinden sich in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, die mit eigenen Wirtschafts- und Entwicklungsproblemen zu kämpfen haben. Gleichzeitig hat der Anteil an lang andauernden Fluchtsituationen zugenommen: In 2017 war für etwa zwei Drittel aller Flüchtlinge die Rückkehr in die Heimatländer für mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte kaum möglich. Prominente Beispiele sind der seit 2012 anhaltende syrische Bürgerkrieg oder die seit den 1990er Jahren andauernde somalische Flüchtlingskrise. Neben Herausforderungen für die Aufnahmegesellschaften, sind die Folgen für die betroffenen – in vielen Fällen jungen – Menschen dauerhafte Abhängigkeit und fehlende Perspektiven auf gesellschaftliche Teilhabe.

Der Globale Flüchtlingspakt reagiert auf diese Entwicklungen mit einem bedeutenden Paradigmenwechsel. So sollen die Lebensperspektiven von Flüchtlingen insbesondere durch eine bessere lokale Integration und Förderung ihrer ökonomischen Eigenständigkeit verbessert werden. Geflüchtete sollen in höherem Maße Zugang zu nationalen Finanzdienstleistungen, Bildungssystemen und Arbeitsmärkten erhalten. Im Gegenzug verpflichtet sich die internationale Gemeinschaft, aufnehmende Länder durch die Bereitstellung von Wissen und Ressourcen zu unterstützen. Flüchtlingslager soll es künftig nur noch als Ausnahme und lediglich kurzfristige humanitäre Lösung geben.

Während der Flüchtlingspakt feststellt, dass sich ein zunehmender Teil von Geflüchteten bereits jetzt schon außerhalb von Lagern aufhält, wird eine andere räumliche Dimension fast konsequent ignoriert: Die zentrale Rolle von Städten als Akteure und wichtige Integrationsmotoren in Fluchtsituationen. Über die Hälfte der Flüchtlinge halten sich in Städten auf, unter den Binnenvertriebenen liegt der Anteil sogar bei über 80 Prozent . Nicht wenige (anerkannte) Flüchtlinge verlassen zudem freiwillig – und oftmals illegal – den Schutzraum des Flüchtlingslagers, um sich und ihren Familien ein Auskommen zu ermöglichen. Auch unter rückkehrenden Flüchtlingen weisen Studien auf eine deutliche Tendenz zur (Neu-) Ansiedlung in städtischen Räumen des Herkunftslandes hin.

Aus der Perspektive von Geflüchteten liegen die Vorteile gewachsener Städte und Gemeinden auf der Hand: Im Gegensatz zu Flüchtlingslagern ermöglichen diese oftmals ein autonomeres Leben mit Aussicht auf soziale und ökonomische Integration. Nicht zuletzt bieten urbane Netzwerke informellen Schutz und unterstützen bei der Arbeits- und Wohnungssuche. Ein urbanes Leben „unter dem Radar“ der staatlichen Einrichtungen bietet jedoch wenig Sicherheit und macht verwundbar. Urbane Flüchtlinge sind häufiger Opfer von sexueller Gewalt, Ausbeutung und verbaler sowie körperlicher Angriffe. Dies ist insbesondere in Ländern der Fall, die offiziell keine Ansiedlung außerhalb von Flüchtlingslagern erlauben. Dort ist in den Städten der Zugang zu öffentlichen Bildungs- und Gesundheitsleistungen kaum möglich; auch internationale Hilfs- und Schutzleistungen können nur eingeschränkt genutzt werden. Nicht registrierte Flüchtlinge sind zudem oft der Willkür der lokalen Behörden ausgeliefert.

Für eine effektive Umsetzung nachhaltiger Lösungen außerhalb von Flüchtlingslagern ist es daher notwendig, die wichtige Rolle von Städten und Gemeinden anzuerkennen und zu unterstützen. Dies muss auf mehreren Ebenen passieren: Auf internationaler Ebene durch eine stärkere Einbindung von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und (im Pakt genannten) Städtenetzwerken in globale Politikprozesse. Darüber hinaus müssen bestehende UNHCR-Konzepte expliziter auf Bedarfe in städtischen Räumen zugeschnitten. Dieses gilt ebenso für die bi- und multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, welche die Bedürfnisse urbaner Geflüchteter stärker in ihren Maßnahmen beachten sollte. Auf nationaler Ebene müssen Städte und Kommunen mit höheren politischen und finanziellen Gestaltungskompetenzen ausgestattet werden. Essentiell ist dabei auch die politische und rechtliche Anerkennung urbaner Geflüchteter. Auf lokaler Ebene geht es schließlich um eine verstärkte Integration von Flüchtlingen in vorhandene Stadtentwicklungs- und Budgetpläne. Nicht zuletzt gilt es, Stadtregierungen und -verwaltungen sowie die lokale Bevölkerung auch für mögliche positive Folgen der wirtschaftlichen und sozialen Integration von Geflüchteten zu sensibilisieren.

Über die Autoren Dr. Eva Dick und Dr. Jana Kuhnt