In den acht Jahren seit dem „Arabischen Frühling“ im Jahr 2011 haben die europäischen Regierungen die Entwicklung und Stabilität in Nordafrika durch mehr Entwicklungshilfe und mehr Waffenverkäufe unterstützt. Dieser inkohärente Ansatz könnte weitere Konflikte schüren.
Zwar haben die europäischen Länder immer wieder erklärt, dass sie in Nordafrika sowohl Entwicklung als auch Stabilität fördern wollen. Doch die Mischung aus materieller Unterstützung autoritärer Regierungen – auch durch massive Zuwächse bei Waffenverkäufen – und höheren öffentlichen Entwicklungsgeldern (ODA) ist inkohärent und gefährlich.
Wirtschaftliche und soziale Entwicklung hängen von Stabilität ab – umgekehrt gilt dies jedoch auch. Entwicklung kann den Menschen Beschäftigung, Ressourcen und ein sinnvolles Leben ermöglichen – Hilfsgelder werden daher auch damit gerechtfertigt, dass Entwicklung den Menschen Bleibeperspektiven schaffe und sie nicht nach Europa migrieren. Seit den arabischen Aufständen stieg die ODA der vier größten EU-Geber – Frankreich, Deutschland, das Vereinigte Königreich und die europäischen Institutionen – für Algerien, Libyen, Marokko und Tunesien von rund 2 Mrd. US-Dollar im Jahr 2008 auf mehr als 3,2 Mrd. US-Dollar 2017. Andere Ansätze der Entwicklungsförderung ergänzten dies, darunter EU-Bemühungen die Handelsbeziehungen zu Marokko und Tunesien zu vertiefen.
Doch zunehmende Waffenverkäufe Europas an Maghreb-Länder können ebendiese Bemühungen untergraben. EU-Länder sind wichtige Waffenexporteure nach Algerien, Libyen, Marokko und Tunesien; zwischen 2008 und 2017 beschafften letztere dort rund 25 Prozent ihrer Waffen. Laut einem aktuellen Bericht des schwedischen Forschungsinstituts SIPRI kaufen diese vier Länder 75 Prozent aller nach Afrika exportierten Waffen, ein Anstieg von 20 Prozent zwischen 2009-2013 und 2014-2018. Diese Waffenexporte sind von Natur aus destabilisierend. Ein genauerer Blick auf drei Maghreb-Länder zeigt exemplarisch ein negatives Beispiel, ein Land am Scheideweg, und eine mögliche Erfolgsgeschichte.
In Libyen haben die Vereinigten Staaten, Russland, Italien und Frankreich in den letzten Jahren des Gaddafi-Regimes ihre Waffenverkäufe deutlich gesteigert. Als Gaddafi nach einer militärischen Intervention durch einige dieser Lieferanten stürzte, blieben in Libyen riesige Waffenbestände und kampferprobte Milizen zurück. 2012 gelangten viele Waffen und Kämpfer von dort in die Sahel-Länder und verschärften den Konflikt im benachbarten Mali. Dennoch lieferten europäische Länder weiterhin Waffen an Libyen und seit 2014 nicht nur an die international anerkannte westliche Regierung, sondern auch an ihren östlichen Rivalen. Diese Waffen wurden vom ostlibyschen General Haftar bei seiner Übernahme der Kontrolle über den Süden des Landes eingesetzt. Das libysche Beispiel zeigt, dass man beim Verkauf von Waffen an ein Land nicht kontrollieren kann, wo sie landen werden.
Algerien ist der größte Waffenimporteur in Afrika und hatte 2014-18 einen Anteil von 56 Prozent an den afrikanischen Importen von Großwaffen. Russland ist bei weitem der größte Lieferant, aber auch Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Schweden und das Vereinigte Königreich haben seit der Niederschlagung der Proteste im Jahr 2011 Waffen dorthin verkauft. Algerien ist mit Abstand der größte Kunde der deutschen Rüstungsindustrie. Die aktuelle Krise in dem Land hat zum Rücktritt von Präsident Bouteflika geführt. Die Situation könnte aber immer noch eskalieren, wenn die Proteste erneut niedergeschlagen werden. Zudem bieten der weitgehend unkontrollierte Süden Algeriens und die reichlichen Öl- und Gasvorkommen Schmugglern und lokalen Kriegsherren vielfältige Anreize. Die Aussicht auf Destabilisierung eines weiteren mit Waffen überfluteten Maghreb-Landes stellt eine ernste und akute Gefahr dar, auch für seine Nachbarn.
Tunesien hat ebenfalls mehr Waffen gekauft, wenn auch nicht im gleichen Maße wie Algerien oder Libyen in der Gaddafi-Ära. Vielmehr hat es große Summen zur Unterstützung seines demokratischen Reformprozesses erhalten, insbesondere von Deutschland (2017 rund 750 Mio. US-Dollar) und den EU-Institutionen (2017 rund 1.350 Mio. US-Dollar). Obwohl die Demokratisierung in Tunesien ins Stocken gerät, gibt das Land doch Hinweise darauf, dass ein anderer Ansatz besser funktionieren könnte. Durch finanzielle Unterstützung für die demokratische Transition werden institutionelle Grundlagen für einen friedlichen Interessenausgleich gefördert. Zusätzlich hat das derzeit mit der EU ausgehandelte „tiefgreifende und umfassende Freihandelsabkommen“ das Potenzial, den Alltag der Tunesier erheblich zu verändern, etwa durch verstärkte Agrarexporte und Visa.
Die Europäer müssen die Maghreb-Länder weiterhin mit ODA und anderen Formen der Entwicklungszusammenarbeit unterstützen, sowohl beim Infrastruktur-Ausbau als auch bei dem schwierigen Prozess, die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft neu zu gestalten. Aber Hilfe kann nur dann zu Entwicklung und langfristiger Stabilität beitragen, wenn Waffenverkäufe, wo sie überhaupt notwendig sind, zumindest den eigenen „gemeinsamen Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und -ausrüstung“ der EU-Mitgliedstaaten von 2008 entsprechen. Diese verlangen die Berücksichtigung der Menschenrechtssituation und anderer Kriterien im Land des Käufers. Es macht wenig Sinn, Millionen in Entwicklungshilfe zu investieren und gleichzeitig das Waffengeschäft praktisch ohne Bedingungen ausweiten.
Über die Autoren Dr. Mark Furness und Dr. Annabelle Houdreet