Europa hat gewählt, und es scheint, als hätte vor allem die Vielfalt die Wählerinnen und Wähler in ihrem Gang zur Urne vereint. Das frisch gewählte Europäische Parlament steht nunmehr vor der herkulischen Aufgabe, sich gleichzeitig der eigenen Fragmentierung und Europas Zukunftsherausforderungen zu stellen. Dies wird Auswirkungen auf die Funktionsweise und Effizienz des Parlaments in allen Politikbereichen haben – nicht zuletzt in der europäischen Entwicklungspolitik.

Die Europawahl 2019 hat nicht zu der von vielen im Voraus befürchteten rechtspopulistischen Welle geführt. Sicher, in Italien und Frankreich sind zwei Parteien aus diesem Spektrum stärkste Kraft geworden und auch in Polen, Ungarn und Großbritannien siegten erneut populistische Parteien. Insgesamt haben diese Parteien jedoch nicht besser – und vielerorts sogar schlechter – als erwartet abgeschnitten. Insgesamt ist der Sitzanteil von rechtspopulistischen und euroskeptischen Parteien im EU-Parlament leicht von 21 Prozent auf 23 Prozent gestiegen.

Von der Flüchtlingspolitik zur Klimakrise

Für die Handlungsfähigkeit der EU in Sachen globaler nachhaltiger Entwicklung ist dieses vergleichsweise moderate Abschneiden ein gutes Zeichen. Es ist jedoch zu erwarten, dass Rechtspopulisten zunehmend darauf drängen, Ausschussvorsitze und Berichterstatterposten zu besetzen und dass sie die neu dazugewonnenen Plattformen auf der europäischen Bühne sehr dezidiert nutzen werden, um den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen. In der Vergangenheit hat sich – zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik – gezeigt, dass andere Parteien dazu neigen, rechtspopulistische Positionen zu kooptieren, wenn diese in der Gunst der Wählerschaft zu liegen scheinen.
Das Wahlergebnis bietet jedoch gleichzeitig Anlass zur Hoffnung auf eine Trendwende, insbesondere in Deutschland. Während in den vergangenen Jahren der öffentliche Diskurs hauptsächlich von der Flüchtlingspolitik dominiert war, zeigt sich, dass Bewegungen wie „Fridays for Future“ dies ändern konnten. Klimapolitik ist nun zum wahlentscheidenden Thema geworden. In Deutschland haben Konservative und Sozialdemokraten im Wahlnachklang eingeräumt, dass das Fehlen überzeugender Antworten auf die Herausforderung der Klimakrise Hauptursache für ihr schlechtes Abschneiden seien und Nachbesserung angekündigt.

Neue Dynamik im Parlament?

In der vergangenen Legislaturperiode bewegte sich das EU-Parlament oftmals pragmatisch von einem Vorschlag zum nächsten, ohne jedoch die langfristige politische Orientierung Europas mitzugestalten. In der Entwicklungspolitik ist ein Beispiel hierfür der neue Europäische Konsens über die Entwicklungspolitik aus dem Jahr 2017, der eine gemeinsame politische Vision zur Entwicklungspolitik auf Leitungsebene der Kommission, der Mitgliedstaaten und des Parlaments darstellen sollte. Hier, wie auch bei anderen Gesetzgebungsvorhaben, entschied sich das Parlament jedoch, die Position der EU-Kommission zu übernehmen anstatt eigene Akzente zu setzen.

Ob die neue Zusammensetzung des Parlaments tatsächlich zu mehr Dynamik und Initiative führen wird, bleibt abzuwarten. Bereits in den nächsten Monaten stehen entwicklungspolitisch wichtige Entscheidungen an, welche das Parlament nutzen kann, um Politik aktiv zu gestalten. Vor allem gilt es, die laufenden Verhandlungen über ein einheitliches Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Zusammenarbeit mit einem vorgesehenen Budget von fast 90 Milliarden Euro für die Periode 2021-2027 weiter voranzubringen.

Darüber hinaus laufen die Verhandlungen zum neuen Mehrjährigen Finanzrahmen, dem langfristigen Haushaltsplan der EU. Diese könnten noch bis Ende 2020 andauern, wenn Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft innehaben wird. Weitere wichtige entwicklungspolitische Themen umfassen die künftigen EU-Afrika-Beziehungen (im Rahmen der sogenannten “Post-Cotonou-Verhandlungen“) und das polarisierende Thema der Migrationspolitik. Die Machtverschiebungen in den Ausschüssen für Entwicklung und Auswärtige Angelegenheiten, welche traditionell von Konservativen (EVP) und Sozialdemokraten (S&D) dominiert wurden, werden hierbei eine wichtige Rolle spielen.

Dabei sind – je nachdem, welche Koalition aus welcher politischen Gruppe sich durchsetzt – durchaus unterschiedliche Positionierungen denkbar. Bei einer Dreierkoalition von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen (ALDE) wären beispielsweise ein stärkerer Schutz der EU-Außengrenzen, weitere Flüchtlingsvereinbarungen nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens sowie vermehrte Rückführungen wahrscheinlich. Ebenso fordern EVP und ALDE, finanzielle Hilfen an die Bereitschaft von Partnerländern zur Rücknahme von Migranten zu koppeln. S&D und Grüne lehnen dies ab.

Die Europawahlen haben dem EU-Parlament neue Relevanz zugeschrieben, die es nun zu nutzen gilt. Europäerinnen und Europäer haben nicht nur das „Weiter-so“ der großen Volksparteien abgestraft, sondern auch gezeigt, dass für sie Klimapolitik und nachhaltige Entwicklung von großer Bedeutung sind. Das EU-Parlament hat die Gelegenheit und die Verantwortung, Europa wieder stärker zu einer normativen Macht im internationalen Raum zu machen.

Über die Autoren Dr. Niels Keijzer, Dr. Benedikt Erforth und Maximilian Högl.