In den Diskussionen über das öffentliche Beschaffungswesen zeichnet sich ein Wandel ab. Wir sehen ein Umdenken in der Konzeption der öffentlichen Beschaffung, das neue Akzente setzt: Die Beschaffung in öffentlichen Institutionen wird professioneller und zunehmend als strategisches Politikinstrument angesehen. Dies trägt auch dazu bei, soziale und ökologische Kriterien bei öffentlichen Ausschreibungen zu berücksichtigen.

Dieser Paradigmenwechsel wird deutlich, wenn man sich die Agenden von Expertengesprächen und wissenschaftlichen Konferenzen ansieht. Organisationen wie die OECD und die Europäische Kommission beschreiten neue Wege, um die Professionalisierung des öffentlichen Auftragswesens zu unterstützen; sie soll zu mehr Effizienz, besserer Planung und zur Einbeziehung von Umwelt- und Sozialaspekten in den Beschaffungsprozess führen. Während in Europa der Schwerpunkt der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung (Sustainable Public Procurement, SPP) auf der ökologischen Dimension der Nachhaltigkeit liegt (z.B. durch die Forderung nach hohen Energieeffizienzstandards), haben Regierungen in anderen Teilen der Welt, zum Beispiel in Ländern Subsahara-Afrikas wie Kenia und Südafrika, die Beschaffung hauptsächlich genutzt, um soziale Probleme anzugehen. In jüngster Zeit gibt es auch in der EU ein wachsendes Interesse daran, die soziale Dimension der Nachhaltigkeit durch ein sozial verantwortliches öffentliches Beschaffungswesen (Socially Responsible Public Procurement, SRPP) zu berücksichtigen. SRPP schließt ausdrücklich Menschen- und Arbeitsrechtsfragen ein, sowohl im Inland als auch bei den internationalen Lieferketten der zu beschaffenden Güter.

Warum ist die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge wichtig? Erstens, weil es sich um einen enormen Betrag handelt, den der öffentliche Sektor für den Kauf von Waren und Dienstleistungen sowie für Bauvorhaben verwendet. Allein in der EU beläuft er sich auf rund 2 Milliarden Euro (ohne Rüstung), was 15-20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Mitgliedsstaaten entspricht. In vielen Entwicklungsländern machen öffentliche Aufträge einen noch größeren Teil des BIP aus. Zweitens können diese großen Summen als Instrument zur Förderung gesellschaftlicher Ziele wie der Bekämpfung des Klimawandels und des Umweltschutzes eingesetzt werden. So kann der öffentliche Sektor über die Beschaffungspolitik die Energieeffizienz fördern (z.B. durch den Kauf von energieeffizienten Geräten), den technologischen Wandel voranbringen (z.B. durch den Umstieg von Verbrennungs- auf Elektromotoren in öffentlichen Bussen) oder die Einhaltung von Arbeitsgesetzen und Menschenrechten in den Wertschöpfungsketten der erworbenen Produkte unterstützen (z.B. durch den Kauf von Fair-Trade-Gütern). Nur wenn das öffentliche Auftragswesen in dieser Weise gestaltet wird, wird das Geld des Steuerzahlers verantwortungsvoll ausgegeben.

Wie verändert sich der Diskurs über das öffentliche Beschaffungswesen genau? Die OECD hat beispielsweise angekündigt, dass sie vier neue Kapitalarten bei der künftigen Bewertung der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Beschaffungswesens in Deutschland berücksichtigen wird: Natur-Kapital, Menschliches Kapital, Soziales Kapital und Wirtschaftliches Kapital. Damit werden erstmals soziale und ökologische Belange berücksichtigt. Auf dem Treffen der Beschaffungsexperten im Gesundheitswesen der Europäischen Kommission im Mai 2019 war ein Drittel der Veranstaltung SPP gewidmet, und die Kommission kündigte an, die Anstrengungen zur Förderung der Professionalisierung der Beschaffungsverantwortlichen in ganz Europa zu verstärken. SPP war auch sehr präsent auf der Konferenz Public Procurement: Global Revolution IX an der Nottingham University im Juni dieses Jahres und wird dies ebenso auf nationalen Veranstaltungen sein wie dem 8. Kölner Vergabetag und dem 6. Deutschen Vergabetag in Berlin. Ein gemeinsames Thema dieser Veranstaltungen ist der Bedeutungsverlust rein rechtlicher Ansätze bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Organisatorische und individuelle Faktoren rücken in den Mittelpunkt, gefolgt von SPP. Nun geht es vor allem darum, Professionalisierung und strategische sowie nachhaltige Beschaffung in die Praxis umzusetzen.

Eine der bereits greifbaren Folgen dieses Paradigmenwechsels ist eine zunehmende Zahl von Pilotprojekten zu strategischen und nachhaltigen Beschaffungsverfahren auf allen Regierungsebenen, etwa die Make ITC Fair-Kampagne. Zu ihr gehören Städte wie London, Barcelona und Den Haag, die Computer, Laptops, Bildschirme und andere IT-Produkte umweltgerechter beschaffen wollen. Deutsche Städte wie Bremen, Bonn und Köln haben erste Erfahrungen mit der Ausschreibung nachhaltiger Arbeitskleidung gemacht. Diese Erfahrungen und der Übergang zu Professionalisierung und Nachhaltigkeit bei der öffentlichen Beschaffung müssen evaluiert und wissenschaftlich begleitet werden. Forschungsgestütztes Peer-to-Peer-Lernen und die Analyse und Verbreitung bewährter Verfahren (good practices) können dazu beitragen, die Beschaffungsprozesse zu verändern. Transformationsforschung kann Praktiker und politische Entscheidungsträger bei der Steuerung dieser Veränderungen unterstützen.

Über die Autoren Dr. Maximilian Müngersdorff und Tim Stoffel.

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