Am letzten Freitag haben weltweit Millionen Bürger*innen gestreikt und die Politik zu ehrgeizigeren klimapolitischen Maßnahmen aufgefordert. Zeitgleich tagte in Berlin das deutsche Klimakabinett; diese Woche trafen sich Staatschefs zum UN-Nachhaltigkeitsgipfel und zur Klima-Woche in New York. Die Massenmobilisierung der Zivilgesellschaft stärkt hoffentlich das Bewusstsein der politischen Entscheidungsträger*innen, endlich zukunftsweisende Weichenstellungen vorzunehmen. Man kann nur hoffen, dass das deutsche Klimakabinett das enttäuschende Klimapaket, welches am Freitag vorgestellt wurde, deutlich nachbessern wird. Die Politik müsste jetzt eigentlich zu einem beherzten Hechtsprung ansetzen, um die Pariser Klimaziele noch zu erreichen. Gleichzeitig ist es aber auch an jedem und jeder einzelnen von uns, Beiträge im Sinne der globalen Klimaziele zu leisten. Gerade als Forscher*innen auf dem Gebiet der nachhaltigen Entwicklung müssen wir mehr tun als wissenschaftliche Ergebnisse und politische Empfehlungen für die Transformation zur Nachhaltigkeit zu liefern. Es ist an der Zeit, über den CO2-Fußabdruck nachzudenken, der durch unsere Reisen im Dienste der Forschung entsteht.

Fragen des transformativen Wandels und der globalen Zusammenarbeit stehen im Zentrum der Forschung für nachhaltige Entwicklung. Als Forscher*innen stehen wir dabei jedoch vor einem moralischen Dilemma: Wir versuchen herauszufinden, wie wir die globale Erwärmung stoppen, mit ihren Auswirkungen umgehen, Armut lindern und Ungleichheiten bekämpfen können, und fliegen dabei munter um die Welt. Klar, die Herausforderungen sind global und erfordern gerade deshalb globale Zusammenarbeit. Reisen zu Partnertreffen, Konferenzen und Feldforschung sind für unsere Arbeit daher unerlässlich. Doch gerade in unserer Branche wissen wir besonders gut um die negativen Folgen des Fliegens für den Klimawandel – gerade für die ärmsten und schwächsten Menschen auf der Welt, für die wir uns gleichzeitig einsetzen. Wie gehen wir mit diesem Paradox um?

Zugegeben, der Luftverkehr hat nur geschätzte fünf Prozent Anteil am menschgemachten Klimawandel. Das mag zwar unbedeutend klingen, aber der Teufel steckt wie so oft im Detail: Nur rund drei Prozent der Weltbevölkerung fliegt pro Jahr überhaupt. Und bei dieser Minderheit erhöhen Flugreisen den individuellen Emissions-Fußabdruck gewaltig: Ein Hin- und Rückflug von London nach New York verursacht höhere CO2-Emissionen als die Durchschnittsbürger von 56 Ländern weltweit jährlich pro Kopf erzeugen. Und sie machen fast die Hälfte der geschätzten jährlichen individuellen Emissionen aus, die im Einklang mit den globalen Klimazielen stehen. Als Forscher*innen haben wir einen CO2-Fußabdruck, der sogar doppelt so hoch ist wie der von beispielsweise kanadischen Durchschnittsbürger*innen. Dies wirft Fragen der Klimagerechtigkeit auf. Was, wenn alle Menschen fliegen würden? Die Emissionen der Luftverkehrsbranche steigen bereits jetzt rasant an, da weltweit immer mehr Menschen fliegen.

In unserem Privatleben gibt es kleine Anzeichen für eine neue Denkweise: Fliegen wird mittlerweile auch unter dem Motto Flugscham diskutiert und nicht mehr nur als Transportmittel moderner Kosmopolit*innen. Diese Haltungsänderung brauchen wir auch in unserem beruflichen Alltag. Wir müssen dringend über Zielkonflikte diskutieren und darüber nachdenken, welche Flüge wirklich nötig sind. Es erscheint widersprüchlich, Wasser zu predigen und Wein zu trinken. Den inneren Widerspruch anzugehen könnte auch unsere Glaubwürdigkeit als Wissenschaftler*innen stärken.

Als Forscher*innen sind wir natürlich eingebettet in ein größeres System: Wir brauchen wirksame Politik, um die Emissionen aus Verkehr und Luftfahrt zu reduzieren. Doch auch die akademische Kultur und ihr Anreizsystem müssen sich ändern: Häufige internationale Reisen sind derzeit die Norm in der global-orientierten Nachhaltigkeitsforschung. Dies hat auch damit zu tun, dass häufige internationale Konferenzen unerlässliche Sprungbretter für akademischen Erfolg zu sein scheinen – was jedoch nicht ganz richtig ist.

Was können wir also selbst tun? Vermeiden, Reduzieren, Kompensieren: Dies ist der magische Dreiklang, der auch unseren Arbeitsalltag bestimmen sollte. Es muss zur neuen Norm in der Wissenschaft werden, virtuell zusammenzuarbeiten. Technische Lösungen wie Video- oder Multi-Site-Konferenzen und neue Formate auch für informelle Online-Netzwerke müssen her. Institutionelle Reiserichtlinien müssen neben der Kosteneffizienz die Klimaverträglichkeit berücksichtigen. Und wir brauchen klare Kriterien für Entscheidungen: Wann ist eine Dienstreise notwendig, wann verzichtbar? Ein CO2-Budget, das Forscher*innen oder Forschungsprojekten zugewiesen wird, könnte die Anzahl von Flügen reduzieren und die Transparenz erhöhen.

Wandel beginnt bei jedem und jeder von uns. Als Forscher*innen für nachhaltige Entwicklung und Klimawandel sind unsere Sichtweisen von Wissen, Werten und Normen über globale Herausforderungen geprägt. Auf diesen ethisch fundierten Grundlagen sollten wir offen darüber diskutieren, wie die Wissenschaft zur Erreichung der Pariser Klimaziele beitragen kann – jenseits von Studien und Empfehlungen. Wir alle sind gefordert, uns selbst und unsere Institutionen zu verändern, trotz und wegen aller politischen Trägheit!

Über die Autoren Okka Lou Mathis, Dr. Anna Schwachula, Dr. Daniele Malerba und Ramona Hägele.

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