Die Corona-Pandemie trifft die Menschheit wie ein globaler Tsunami: sie fordert Menschenleben in einer noch unvorhersehbaren Zahl, bringt Gesundheitssysteme an ihre Grenzen, unterbricht globale Lieferketten und bringt den Finanzsektor ins Schwanken. Auf der ganzen Welt werden Maßnahmen getroffen, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen und den wirtschaftlichen Schaden zu minimieren. Dass dabei auch Verhaltensänderungen auf individueller Ebene stattfinden müssen, ist unabdingbar.
Aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive sind in der aktuellen Krise drei Punkte besonders relevant: Erstens, die Situation erfordert, dass wir uns individuell für das globale Gemeinwohl einschränken. Häufig geht es dabei primär nicht um das eigene Wohlergehen, sondern vor allem um das Wohlergehen anderer. Zweitens, die Wirksamkeit unseres individuellen Handelns ist oft ungewiss und nur schwer nachzuvollziehen. Die Kosten unseres Verzichts hingegen sind direkt spürbar und können unsere Lebensumstände gravierend verändern. Drittens, die Einschränkungen, die von uns gefordert werden, fallen jetzt in der Gegenwart an, während die positiven Auswirkungen unseres Verzichts größtenteils zeitlich versetzt in der Zukunft liegen.
Die Situation, die wir aufgrund der Corona-Pandemie aktuell erleben, hat viele Parallelen zur Bedrohung durch den Klimawandel. Auch die Klimakrise bedroht das menschliche Leben in einem unabsehbaren Ausmaß. Genau wie bei einer weltweiten Pandemie erfordert sie von uns individuelle Einschränkungen für das globale Gemeinwohl. Auch hier sind die Kosten unseres Verzichts direkt spürbar, während der Nutzen oft ungewiss erscheint und in der Zukunft liegt.
Die aktuelle Situation zeigt, dass Verhaltensänderungen unter solchen Umständen schwierig sind. Trotz anfänglicher Appelle an freiwillige soziale Isolation, hat der Großteil der Menschen diese in den letzten Wochen erst aufgrund politischer Vorgaben und verschobener Anreizsysteme eingehalten. Ähnlich haben sich, entgegen aller Empfehlungen von Expert*innen, individuelle Lebensstile für mehr Klimaschutz in den letzten Jahren nur wenig oder schleppend verändert. Um die Klimakrise erfolgreich abzuwenden, scheint somit auch hier das richtige Maß an politischen Regulierungen zur Verschiebung von Anreizsystemen entscheidend zu sein. Im Vergleich zur Akzeptanz aktueller Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ist die Bereitschaft für Verhaltensänderungen für den Klimaschutz beim Großteil der Gesellschaft allerdings bislang noch sehr gering. Woran liegt das?
Ein wichtiger Unterschied zwischen der Bedrohung durch die Corona-Pandemie und der Klimakrise liegt in zwei Dimensionen: der persönlichen sowie der zeitlichen Distanz. Je weiter entfernt eine Bedrohung erscheint, desto geringer ist die Bereitschaft zu handeln. Die Corona-Pandemie ist momentan sehr präsent; die zeitliche Distanz ist somit gering. Die persönliche Distanz variiert. Manche Menschen sind bereits direkt betroffen, während andere bisher nur über Medien vom Ausmaß des Virus erfahren haben. Die Folgen der Klimakrise hingegen sind für viele Menschen bislang nur schwer ersichtlich. Sie erstrecken sich über einen längeren Zeitraum und beeinflussen den Alltag der meisten Menschen in Europa aktuell noch wenig. Die Bedrohung durch den Klimawandel erscheint somit für viele noch in der Zukunft zu liegen und die Bereitschaft für sofortige Verhaltensänderungen ist gering.
Aktuelle Studien zu China und Italien zeigen, dass die weltweiten negativen Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt seit Ausbruch der Corona-Pandemie erheblich zurückgegangen sind. Vielleicht bietet der derzeitige Ausnahmezustand die Möglichkeit, eigene Verhaltensweisen auch für den Klimaschutz noch einmal individuell zu hinterfragen. Wir lernen beispielsweise gerade, vermehrt digitale Lösungen zu nutzen und mit einer verringerten Mobilität umzugehen – ein wichtiger Baustein auch zur Globalen Nachhaltigkeit. Genauso sollten politische Entscheidungsträger den Klimaschutz jetzt nicht aus den Augen verlieren. Die Klimakrise mag aktuell aus dem Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit geraten sein, jedoch wird sie dadurch nicht weniger relevant. Im Gegenteil: wenn bei den aktuellen politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie die Folgen für den Klimaschutz nicht mit einbezogen werden, könnte dies erhebliche Folgen für unsere Zukunft haben.
Damit politische Maßnahmen für individuelle Verhaltensänderungen von der Gesellschaft akzeptiert werden, muss aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht klar kommuniziert werden, dass individuelles Verhalten ausschlaggebend für kollektiven Erfolg ist. Zudem muss die Wirksamkeit des individuellen Handelns greifbar gemacht werden, damit die Menschen bereit sind, die Kosten individuellen Verzichts in Kauf zu nehmen. Darüber hinaus muss die Dringlichkeit sofortiger Einschränkungen für zukünftige Erfolge veranschaulicht werden, damit die Notwendigkeit für frühes Handeln allgemein gesellschaftlich verstanden wird. Dies gilt sowohl für die Bekämpfung der Corona-Pandemie als auch für den Klimaschutz.
Da die persönliche und zeitliche Distanz zur Klimakrise für viele Menschen aktuell noch größer erscheint, sind diese Punkte für den Klimaschutz momentan noch schwieriger zu vermitteln als für die Bekämpfung der Corona-Pandemie. Es erfordert ein demokratisch-verankertes politisches System, das den Rat der Wissenschaft schätzt und dennoch bereit ist, jetzt die Weichen für eine nachhaltige Zukunft zu stellen. Je später wir damit anfangen, unser Verhalten umstellen, desto drastischer werden die Veränderungen in der Zukunft ausfallen müssen.
Über die AutorInnen Hanna Fuhrmann und Sascha Kuhn.