Die Überschwemmungen von Juli 2021 im Westen Deutschlands haben uns drastisch vor Augen geführt, welch katastrophale Schäden Stark­regen auch in unseren Breiten verursachen kann. Unmittelbar nach der Flutkatastrophe hat das IKT 13 Hilfseinsätze koordiniert, bei denen nicht betroffene Abwasser­betriebe in der Krisenregion mit Spülfahr­zeugen, Pumpen und Personal ausgeholfen haben. Die zentralen Erkenntnisse, die aus der engen Zusammenarbeit mit den Abwasser­betrieben erwachsen sind, haben Wissenschaftler des IKT nun in einem Paper zusammengefasst. Eine Zusammenfassung.

Die Erkenntnisse

  • Bei einem kritischen Ereignis zielen die Maßnahmen der Abwasser­betriebe darauf ab, die Funktionsfähigkeit der Entwässerungsnetze wiederherzustellen, um die von Starkregen betroffenen Gebiete vor künftigen, unmittelbar bevorstehenden Ereignissen zu schützen. Denn auch ein Folgeereignis mit geringeren Niederschlägen könnte negative Auswirkungen auf ein System haben, das noch nicht wiederinstandgesetzt wurde. Dies ist besonders wichtig, um die betroffenen Bürgerinnen und Bürger vor weiteren psychischen und physischen Belastungen zu schützen.
  • Abwasserbetreibe werden von den staatlichen Krisenstäben in der Regel nicht als direkte Akteure der akuten Gefahrenabwehr gesehen – im Gegensatz zu Armee, Rotes Kreuz, Technisches Hilfswerk und Polizei –, sondern überwiegend nur als ergänzende Unterstützer oder Helfer. Die Rolle als Betroffene, die selbst Hilfe und Unterstützung bei der Wiederherstellung der Infrastruktur benötigen, wurde kaum gesehen. Dementsprechend wichtig ist es, einen direkten Kontakt zwischen den Abwasserverantwortlichen der betroffenen und der helfenden Gemeinden herzustellen, damit konkrete Hilfsaktionen direkt zwischen ihnen koordiniert werden können.
  • Hieraus ergibt sich ein immenser Bedarf an der systematischen Erfassung von Kontaktdaten auf der Arbeitsebene. Das kann etwa in Form eines Nothilfepasses erfolgen. Optimalerweise sollte die Bereitstellung solcher Daten bereits in den gesetzlichen Selbstüberwachungspflichten gefordert werden und im Krisenfall zentral bei einer Treuhandstelle wie dem IKT abrufbar sein.
  • Obwohl die Betroffenen im Sommer grundsätzlich auf Überflutungsereignisse vorbereitet waren, rechneten sie aufgrund der zunächst eher unspezifischen Warnungen nicht mit einer solch extremen Ausnahmesituation. Frühere Erfahrungen mit geringeren Starkregenereignissen ließen die Befragten nicht auf eine solche Katastrophe schließen. In Zukunft sollten deshalb Extremszenarien in Warnungen spezifiziert und in Übungen trainiert werden.
  • Die Gemeinden sollten auf Worst-Case-Szenarien wie Überschwemmungen in der Nacht oder an Wochenenden und Feiertagen vorbereitet sein. Die Mitarbeiter sollten die sozialen Merkmale ihres Gebiets kennenlernen und mit den Menschen vor Ort zusammenarbeiten, um sie zu sensibilisieren und Notfallpläne zu erstellen. Denn sobald eine Warnung herausgegeben und empfangen wurde, ist es von grundlegender Bedeutung, dass sie verstanden und befolgt wird, damit alle Maßnahmen wirksam sind.
  • Viele Hilfsaktionen waren nur möglich, weil die Verantwortlichen dies spontan organisierten und die rechtliche und kaufmännische Abwicklung zunächst offenließen. In anderen Fällen konnte die Hilfe erst gar nicht aktiviert werden, weil lange Entscheidungsprozesse zu tage- oder gar wochenlangen Verzögerungen führten. Hier erscheint es unabdingbar, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Hilfeleistung im Vorfeld zu klären, damit im Ereignisfall schnell gehandelt werden kann.
  • Während viele Kanalbetreiber darüber diskutieren, dass der Betrieb von Schmutzfängern unter den Kanaldeckeln zu kostspielig sei, schützten genau diese Elemente die Kanäle vor übermäßiger Verschlammung. Im Krisengebiet waren sie in vielen Fällen mit Schlamm gefüllt und verschlossen den Kanalzugang vollständig, was den Zufluss von weiterem Schlamm in die Kanalisation verhinderte.
  • Grundsätzlich muss die Organisation der Hilfsmaßnahmen im Katastrophenfall neu überdacht werden. Derzeit sind die Notfallsysteme der Abwasserbetriebe nur auf durchschnittliche Starkregenszenarien ausgerichtet, nicht aber auf Extremereignisse. Dies gilt auch für die Vorhaltung von Netz- und Betriebsdaten. Im Katastrophenfall können alle lokalen Systeme zerstört werden, so dass es möglich sein sollte, wesentliche Netzdaten zu sichern und über einfache Kommunikationswege wie Ausdrucke und Handy-Informationen zur Verfügung zu stellen.
  • Im Katastrophenfall benötigen vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kleinerer Abwasserbetriebe neben technischer auch strategische Unterstützung. Viele Mitarbeiter sind auch privat von dem Ereignis betroffen und physisch und psychisch kaum in der Lage, eine komplexe Katastrophensituation im Abwasserbetrieb zu bewältigen.

Weitere Informationen auf Seiten des IKT.