Gleichzeitig in verschiedenen Ländern zu leben, ist keine Ausnahme, sondern die Regel im Alltag von Geflüchteten. Dies belegt auch eine neue Studie, die sich mit der Situation von Geflüchteten in Deutschland beschäftigt. TRAFIG practice note no. 10 empfiehlt, die grenzüberschreitenden (familiären) Netzwerke von Geflüchteten anzuerkennen und aktiv zu nutzen, um den Flüchtlingsschutz zu verbessern.

Unter den syrischen, eritreischen und afghanischen Geflüchteten in Deutschland, die die Forscher:innen im EU-geförderten TRAFIG Projekt befragten, spielen die Familienbeziehungen eine besondere Rolle. Sie prägen ihren Alltag entscheidend; sei es, wenn die befragten Personen während ihrer Flucht von engen Familienmitgliedern getrennt wurden, oder wenn ihre Verwandtschaftsnetzwerke transnational über mehrere Länder verstreut sind.

„Trotz ihrer großen Bedeutung für das Leben der Menschen werden grenzüberschreitende Beziehungen und die Mobilität von Geflüchteten zwischen Ländern derzeit eher eingeschränkt als gefördert“, analysiert Dr. Simone Christ, Hauptautorin der Studie. Sie empfiehlt deshalb, alle legalen Möglichkeiten auszuschöpfen und familiäre Bindungen mit einzubeziehen, um den Flüchtlingsschutz zu verbessern. „Um die schmerzhafte langjährige Trennung von Angehörigen zu vermeiden, sind schnellere und transparentere Verfahren zur Familienzusammenführung dringend erforderlich“, betont sie. Die Behörden sollten zudem Antragstellenden helfen, Lösungen bei formalen Hindernissen, wie fehlenden oder nicht anerkannten Identitäts- oder Ehenachweisen, zu finden. Auch vereinfachte Verfahren zur Geldüberweisung und die Lockerung von Visabestimmungen halten die Autor:innen für sinnvoll, um ein grenzüberschreitendes Zusammenleben und Familienbesuche zu fördern.

„Familiennetzwerke können zudem eine tragende Rolle für die humanitäre Aufnahme von Schutzsuchenden spielen“, hebt Dr. Benjamin Etzold, Leiter des TRAFIG Projektes, hervor. Aufnahmeprogramme, welche auf die Unterstützung durch Familien und andere zivilgesellschaftliche Gruppen aufbauen, müssten seiner Meinung nach massiv ausgeweitet werden. Dies sei im Koalitionsvertrag bereits angekündigt, doch das Vorhaben müsse nun – da sich die Situation beispielsweise in Afghanistan dramatisch verschlechtert hat – auch rasch umgesetzt werden.

Das Fazit von TRAFIG practice note no. 10 lautet: „Geflüchtete nutzen bereits Mobilität und ihre grenzüberschreitenden Kontakte als Ausweg aus ihrer langanhaltenden Ungewissheit; es ist höchste Zeit dies anzuerkennen und sie dabei zu unterstützen.“
> Volltext von TRAFIG practice note no. 10 „Familie kennt keine Grenzen – Was kann der Flüchtlingsschutz daraus lernen?“ als PDF.

Die Empfehlungen der TRAFIG practice note no. 10 basieren auf den Erkenntnissen der englischsprachigen Studie TRAFIG Working Paper No. 10 „Figurations of Displacement in and beyond Germany“. Dieses Paper präsentiert die Ergebnisse umfassender empirischer Forschung über die Rolle von grenzüberschreitenden Netzwerken und Mobilität für Geflüchtete in Deutschland.
> Volltext der Studie als PDF

Die Studie wurde im Rahmen des von der EU finanzierten Horizon 2020-Forschungsprojekts „Transnational Figurations of Displacement“ (TRAFIG) veröffentlicht, das lang andauernde Vertreibungssituationen an mehreren Standorten in Asien, Afrika und Europa untersucht und Optionen zur Verbesserung der Lebenssituation von Vertriebenen analysiert.
> mehr über das EU-finanzierte Horizon 2020 Projekt TRAFIG

Weitere Informationen zum Thema auf Seiten des JRF-Instituts BICC.