Niemand ist perfekt. Das gilt auch in der Industrie. Während sich die Fehlerraten von Maschinen und Robotern mittlerweile regelmäßig im Promillebereich bewegen, fällt bei manuellen Serienfertigungen auf, dass manche manuellen Arbeitsschritte deutlich fehleranfälliger sind als andere. Experten vom RIF Institut für Forschung und Transfer haben nun bekannte Verfahren aus der Raumfahrt, mit denen die Risiken „menschlichen Versagens“ in Ausnahmesituationen eingeschätzt werden, für die Prognose menschlicher Fehlerraten auf Standardsituationen der manuellen Serienfertigung übertragen. In einem Pilotprojekt bei der Firma Vaillant in Remscheid, einem weltweit tätigen Markt- und Technologieführer für Heizsysteme, kam die neue Analysemethode zur praktischen Anwendung. Nun sollen die Erkenntnisse systematisch Eingang in die etablierten Planungswerkzeuge von Arbeitsplanern in der Industrie finden.
Manuelle Arbeitsprozesse werden bislang vor allem unter dem Aspekt der Zeitökonomie geplant. Wie lange ein Facharbeiter für eine bestimmte Tätigkeit benötigt, können Arbeitsplaner in der Praxis mit „Vorgabezeiten“ errechnen, die als Standard für einzelne Bewegungselemente wissenschaftlich ermittelt werden. Auf dieser Basis wird auch vorausberechnet, ob eine bestimmte Produktionsplanung wirtschaftlich ist oder nicht. „Bei dieser technisch-ökonomischen Betrachtung bleibt meist unberücksichtigt, dass neben dem Ausfall technischer Systemkomponenten auch Handlungsfehler der am Montageprozess beteiligten Personen auftreten können“, sagt RIF-Projektleiter Prof. Dr.- Ing. Robert Refflinghaus.
Die neue Montageplanungsmethode namens MTQM (Methods Time and Quality Management), die RIF im Rahmen eines Forschungsprojektes der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG, Förderkennzeichen Re 1704/4-1) entwickelt hat, bringt Zeit- und Qualitätsplanung von manuellen Montagetätigkeiten in der Serienfertigung auf einen Nenner, genauer gesagt auf den HEP-Wert (Human Error Probabilty, übersetzt: menschliche Fehlbehandlungswahrscheinlichkeit). Dieser Wert wird mit einem ursprünglich für die Luft- und Raumfahrt entwickelten Verfahren zur Bestimmung der menschlichen Zuverlässigkeit, dem Expertensystem zur Aufgabentaxonomie (ESAT), berechnet. Alle Einzelheiten einer Arbeitsaufgabe werden dabei zunächst in einer standardisierten Sprache, der „ESAT-Prozesssprache“, abgebildet. Für jede Bewegungsfolge werden dann sowohl die Ausführungszeiten als auch die Fehlerraten, die mit der Arbeitsaufgabe einhergehen können, berechnet. In diesen mehrstufigen Berechnungsprozess fließen zahlreiche Faktoren ein, darunter auch solche, die etwa die menschliche Leistungsfähigkeit bei der Aufgabenerfüllung herabsetzen können, zum Beispiel die Komplexität der Aufgabe, störende Umweltfaktoren oder fehlende Erfahrung.
Da das ESAT-System für seltene Situationen in der Luft- und Raumfahrt entwickelt wurde, bestand eine der Hauptaufgaben der RIF-Experten darin, das System auf Serienfertigungen anzupassen. Über 30 Arbeitsinhaltsanalysen und Interviews mit Vorarbeitern und Meistern am Fertigungsband mussten geführt werden, damit das System für die Erfassung oft wiederholter und gut eingeübter Arbeitsabläufe ausgebaut werden konnte. Sogar die Zusammenhänge zwischen Fehlerwahrscheinlichkeiten, Lerneffekten, Erfahrungswerten und Arbeitszeiten konnten so berücksichtigt werden.
„Am Ende liefert die MTQM – Methode objektiv nachvollziehbare, reproduzierbare Fehlerwahrscheinlichkeiten für häufig auftretende manuelle Arbeitsaufgaben, mit denen dann in gängigen Planungssystemen sehr einfach geplant und kalkuliert werden kann“, sagt RIF- Mitarbeiter Christian Kern. Der Diplom-Logistiker bearbeitete das Projekt auch in der praktischen Umsetzung des Systems bei der Firma Vaillant. Dort führten die Berechnungen der Fehlerwahrscheinlichkeit zu Veränderungen bei der Montage von Dichtungen.
Durch das Anbringen von Fügehilfen, die Verbesserung der Beleuchtung und eine leicht veränderte Arbeitsorganisation konnten mit geringem Aufwand messbare Verbesserungen erreicht werden.
„Die Ergebnisse, die wir mit Vaillant als Industriepartner beispielhaft erzielen konnten, sind sehr ermutigend. Wir wollen das System daher nun weiterentwickeln. Mit Zuverlässigkeitsanalysen und Fehlerwahrscheinlichkeiten für alle Standardvorgänge könnte es dann auch betriebsübergreifend zur Konzeption von manuellen Montagetätigkeiten eingesetzt werden“, erklärt Prof. Refflinghaus. Das voraussichtlich im Sommer startende Folgeprojekt soll das umfangreiche Know how zudem in einer intuitiv bedienbaren Software bündeln, mit der auch kleinere und mittlere Unternehmen ihre Planungsvarianten sehr einfach vergleichen und schrittweise verbessern können.