Menschen mit Einwanderungsgeschichte waren doppelt durch die Corona-Pandemie betroffen: Sie erkrankten häufiger und sie waren stärker von negativen Folgen der Infektionsschutzmaßnahmen betroffen. Ursächlich dafür sind die benachteiligende Lebenssituation und der mangelnde Zugang zu Informationen und medizinischen Einrichtungen. „Hier bedarf es deutlicher Verbesserungen mit Blick auf künftige Infektionslagen wie einer zielgerichteten Kommunikation und dem Ausbau der wohnortnahen Versorgung“, so ILS-Studienleiter Ralf Zimmer-Hegmann zu einem zentralen Ergebnis der Studie zu COVID-19 und der (sozial)räumlichen Verbreitung, die jetzt als ILS-Working Paper erschienen ist.
Ein Team des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung (ILS) hat untersucht, inwiefern räumliche, soziale und kulturelle Aspekte in unterschiedlichen Quartieren in Dortmund, Düsseldorf, Solingen und dem Kreis Lippe die Wahrscheinlichkeit einer Covid-19-Infektion erhöht haben.
„Wir haben in der Infektionsbetroffenheit eine hohe kleinräumige Dynamik im Zeitverlauf beobachtet. Auf der einen Seite gab es in unseren Analysen kein Quartier, das durchgehend von niedrigen Inzidenzen gekennzeichnet war. Auf der anderen Seite konnten wir aber auch Stadträume identifizieren, in denen sich im Pandemieverlauf überdurchschnittliche Betroffenheiten verstetigt haben“, so ILS-Wissenschaftler Simon Liebig. „Diese Räume waren meist auch durch einen höheren Anteil an Menschen mit Einwanderungsgeschichte geprägt.“ Die Gründe dafür sind vielfältig und mehrdimensional. „Ursächlich dafür ist vor allem die schwierigere wirtschaftliche Situation und soziale Lage der Haushalte“, erläutert Zimmer-Hegmann. Mit Blick auf die benachteiligenden Lebensbedingungen sind Menschen mit Einwanderungsgeschichte auch stärker von den negativen Folgen von Infektionsschutzmaßnahmen, wie Schließung von Schulen, Kitas oder Beratungseinrichtungen, betroffen.
Aus diesen Ergebnissen lassen sich Handlungsempfehlungen ableiten. Die Wissenschaftler*innen fordern für vergleichbare Situationen eine zielgruppenspezifische Kommunikation etwa in den Muttersprachen der betroffenen Personen und in einfacher deutscher Sprache. Auch beim Zugang von Menschen mit Einwanderungsgeschichte zum Gesundheitssystem sehen die Forschenden Ausbaubedarf idealerweise in direkter Nachbarschaft. „Gerade in benachteiligten Stadtteilen in denen viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte leben, fehlen häufig Ärzte und Anlaufstellen“, so Zimmer-Hegmann. Potenziale sieht das Team außerdem bei der frühzeitigen Einbindung von Multiplikatoren lokaler Communities und ihrer Perspektive. Knapp drei Jahre nach dem ersten bestätigten Corona-Fall in NRW sind auch die Kommunen in der Pflicht. „Der Ausbau der Quartierssozialarbeit als wichtiges Netzwerk in der Nachbarschaft ist ein weiterer Baustein. Hier bedarf es einer Verstetigung der Finanzierung“, ergänzt Liebig.
Weitere Ergebnisse im Überblick:
- Unterschiedliche Arbeits- und Wohnsituationen erklären ein erhöhtes Infektionsrisiko, z. B. weil Homeoffice-Möglichkeiten und damit eine Einschränkung der Kontakte nicht möglich waren oder die Wohnverhältnisse beengt sind.
- Sprachbarrieren führen zu eingeschränkten Teilhabemöglichkeiten und einem höheren Infektionsrisiko, z. B. weil passende Informationsangebote fehlen.
- Kulturelle und religiöse Aspekte können zwar einen Einfluss auf den Umgang mit Infektionsschutzmaßnahmen haben (z. B. bestimmte religiöse Praktiken wie gemeinsames Singen), sind aber insgesamt weniger relevant.
- Grundlegende Unterschiede zwischen einzelnen Herkunftsländern können im Hinblick auf das Infektionsgeschehen nicht festgestellt werden.
- Menschen mit Einwanderungsgeschichte und benachteiligte Quartiere sind im Kontext der Pandemie Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt.
- Die Schließung von Bildungseinrichtungen und Beratungsangeboten verstärkt die Bildungs- und Teilhabeungleichheit gerade für ärmere Bevölkerungsgruppen und Menschen mit Einwanderungsgeschichte.
Weitere Informationen auf Seiten des JRF-Instituts ILS.