Leitungen und Baumwurzeln – da schrillen bei den Betreibern sofort die Alarmglocken. Denn mit Wurzeleinwuchs zum Beispiel in Abwasserleitungen schlagen sich Abwassernetzbetreiber fast täglich herum. Bei anderen Netzen wie Fernwärme, Gas oder Trinkwasser ist eher die Umwurzelung der Leitungen problematisch. Denn die Wurzeln können etwa bei Sturm enorme Lasten übertragen. Eigentlich will man Wurzeln gar nicht im Leitungsgraben haben. Und schon gar nicht in den Leitungen.
Doch am Stadtgrün die Kettensäge anzusetzen will man mit Rücksicht auf das Stadtklima auch nicht. Zum Glück gibt es innovative Produkte und Verfahren, die die Wurzeln von den Leitungen fern halten. Sollen. Ob sie das wirklich tun, untersucht das IKT zurzeit in einem internationalen Projekt gemeinsam mit Partnern aus den Niederlanden. In einem weltweit einmaligen Versuchsaufbau werden passive Maßnahmen zum Schutz von Leitungen vor Wurzeleinwuchs wie Platten, porenarme Verfüllbaustoffe, Folien und spezielle Rohrverbindungen getestet.
Den Freiluft-Versuchsaufbau hat das IKT gemeinsam mit dem IKT Nederland, der Stadt Almere und der Stiftung RIONED in den Niederlanden errichtet. Hier wird untersucht, wie wirksame, ökologisch nachhaltige Konzepte gegen Konflikte zwischen Stadtgrün und unterirdischen Leitungen aussehen können.
Wurzeln beim Wachsen zusehen
In einem Neubaugebiet in der nahe Amsterdam gelegenen Stadt Almere wurden entlang zweier Leitungen fünf Bäume gepflanzt, deren Wurzeln jetzt unter Beobachtung stehen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn an zwei Stellen wurden Glasscheiben eingebaut, sodass man den Wurzeln tatsächlich beim Wachsen zusehen kann.
Forschung verständlich erklärt
Damit Anwohner und Passanten verstehen, was es mit der Anlage auf sich hat, wurde jetzt eine Informationstafel aufgestellt, die das Projekt und seine Ziele verständlich erläutert. Zur Einweihung des Versuchsaufbaus und der Infotafel kamen aus Deutschland IKT-Projektleiter Mirko Salomon, M.Sc. und IKT-Geschäftsführer Dipl.-Ök. Roland W. Waniek, vom IKT Nederland Niederlassungsleiter Sebastiaan Luimes und Leo Bloedjes von der Stadt Almere.
24 Systeme im Test
An den Leitungen und in den Leitungsgräben der Versuchsanlage wurden 24 Systeme aus verschiedenen Werkstoffen zum passiven Schutz vor Wurzeleinwuchs eingebaut. Darunter sind spezielle Rohrverbindungen, porenarme Verfüllbaustoffe, Folien und Platten. Die Produkte und Verfahren wurden durch den Auftraggeber ausgewählt, das heißt es wurden die Systeme eingesetzt, die für die Stadt Almere aus unterschiedlichen Gründen besonders interessant sind.
Sichere Leitungen unter der grünen Stadt
In diesem internationalen Forschungsprojekt wird nun über einen Zeitraum von mehreren Jahren die Wirksamkeit der eingebauten Systeme untersucht. Erste Aufgrabungen sollen zur Floriade 2022, dem niederländischen Pendant zur Bundesgartenschau, erfolgen. Almere ist dann Ausrichter der Floriade, und der Versuchsaufbau liegt in der Nähe des Messegeländes. Da sich das Forschungsprojekt auch als Initiative für die grüne Stadt der Zukunft und für ein angenehmeres Stadtklima versteht, passt das wirklich gut, finden die Beteiligten.
Nach den Aufgrabungen lässt sich erstmals die Barriere-Funktion der Systeme gegenüber wachsenden Baumwurzeln analysieren. Aus den Untersuchungsergebnissen leiten die Forscher dann erste Empfehlungen und Hinweise ab, die die Netzbetreiber bei der Auswahl geeigneter Wurzelschutzmaßnahmen konkret unterstützen. Darüber hinaus lassen sich aus diesen Langzeitbetrachtungen auch wertvolle Hinweise für die Entwicklung beziehungsweise Optimierung von Produkten und Systemen für den Wurzelschutz von Leitungen gewinnen.
Wurzeln und Leitungen auf Distanz halten
Hintergrund des Ganzen: Unterirdisch verlegte Leitungen und die Wurzeln der Stadtbäume teilen sich denselben Bodenraum und geraten immer wieder aneinander. Wegen des hohen Grundwasserspiegels in Almere sind die Platzverhältnisse unter den Straßen hier besonders beengt. Unterirdische Abwasserleitungen werden in Almere nur ungefähr einen Meter unter Geländeoberkante eingebaut. Um beim Neubau von unterirdischen Leitungen späteren Wurzeleinwuchs zu vermeiden, wurden in der Vergangenheit vereinzelt Bäume im Bestand vorsorglich gefällt. In Zeiten des Klimawandels eine sehr unpopuläre Maßnahme, die man in Zukunft unbedingt vermeiden möchte. Daher ist die Gemeente Almere sehr an neuen Konzepten interessiert, die eine grüne Stadt und optimalen Schutz der Leitungen vor Wurzeleinwuchs vereinen.
Funktionieren Systeme auf Dauer?
Ziel dabei ist es, entweder den Bettungsbereich der Leitungen für Wurzeln möglichst unattraktiv zu gestalten (porenarme Verfüllbaustoffe), das Wurzelwachstum in unschädliche Bereiche zu lenken (Platten und Folien) oder das Einwachsen der Wurzeln in die Leitung zu verhindern (Mantelrohre und wurzelfeste Muffen). Ob diese Maßnahmen auch über einen längeren Zeitraum die Wurzeln von den Leitungen fernhalten und wirksam verhindern, dass Wurzeln um die Rohre herum oder in sie hinein wachsen, ist bisher kaum erforscht.
Mit diesem internationalen Forschungsprojekt wollen die Beteiligten ein Stück beitragen zu einem besseren Stadtklima, zu grüneren Städten und zu sichererem Kanalbetrieb. Und zu einer besseren Nachbarschaft – zwischen Leitungseigentümer und Baumbesitzer genauso wie zwischen benachbarten Ländern.
Und für die Nachbarn der Versuchsanlage gibt es jetzt schon was zu gucken: Es zeigen sich nämlich erste Wurzeln an den Scheiben der Versuchseinrichtung.